Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zum „Politischen Aschermittwoch“:

Politik und Kirche gehören nicht zusammen, auch
am Aschermittwoch nicht. Es gilt die strikte Trennung, immer. Dennoch
sei hier ein kleiner Vergleich erlaubt, allein der schönen Symbolik
wegen. Denn das Bild des Aschekreuzes, das nach katholischer
Tradition den Gläubigen am Aschermittwoch auf die Stirn gezeichnet
wird, passt so wunderbar zur politischen Lage, in der wir uns in
Deutschland gerade befinden. Das Ascheritual soll den Menschen an
seine Vergänglichkeit erinnern und zur Umkehr aufrufen. Es will
zeigen: Altes muss vergehen, damit Neues entstehen kann. Könnte es
ein besseres Bild für die aktuelle Situation von CDU, CSU und SPD
geben? In den (ehemals) großen Parteien tut Erneuerung dringend not.
Ums Werden und Vergehen geht es in den Parteien zur Zeit. In der CSU
ist die Neuaufstellung vorerst geklärt: Horst Seehofer geht als
bayerischer Landesvater, ein Heimatministerium in Berlin entsteht und
Markus Söder als designierter Ministerpräsident übernimmt im
Freistaat. CDU und SPD dagegen stecken mittendrin im
Personalschlamassel. Merkel hat zwar erste Erneuerungen angedeutet,
ihre politische Vergänglichkeit also zumindest ansatzweise erkannt.
Konsequenzen zieht sie trotzdem nicht und will für weitere vier Jahre
Kanzlerin bleiben. Am härtesten zu spüren bekommen die Genossen die
Vergänglichkeit, allen voran Martin Schulz. Die Personaldebakel waren
Topthema beim gestrigen politischen Aschermittwoch. Es prasselte
Verbalattacken von allen Seiten. Das mag für manche kurzweilige
Unterhaltung sein. Politisch relevant sind die Seitenhiebe aber
sicher nicht. Und zur inhaltlichen Erneuerung der Parteien tragen sie
auch nicht bei. Dabei ist es dringend notwendig, dass Neues entsteht.
Nur ein paar Beispiele: dass die Mega-Herausforderung Digitalisierung
ernstgenommen wird, anstatt sich mit lächerlichen Versprechen wie
Wlan in Bussen bis 2050 (Söder) aus der Affäre zu ziehen; dass bei
der wachsenden Ungleichheit zwischen Arm und Reich gegengesteuert
wird; dass noch größere Anstrengung für Integration aufgebracht wird,
anstatt mit Abschiebungen hohle Symbolpolitik zu betreiben. Die
Verbalschützen von gestern hätten sich besser eine protestantische
Aschermittwochs-Warnung zu Herzen genommen als mit Wortgeschützen
aufzurüsten: nämlich die vor einem Handeln, das nur darauf aus ist,
Eindruck zu schinden. Das politische Reden ohne Gehalt ist so
ermüdend, weil es immer mehr Überhand gewinnt. Seit Wochen und
Monaten kreist die Debatte nur noch um Positionierungskämpfe und
Kräftemessen. Wie satt viele Bürger diese Machtspiele ihrer
Repräsentanten haben, zeigt die jüngste INSA-Umfrage: Wenn am Sonntag
Wahl wäre, käme die Union auf gerade einmal 29,5 Prozent. Die SPD
krebst bei 16,5 Prozent herum, dicht gefolgt von der AfD mit 15
Prozent. Das Stimmungsbild ist trist: Immer mehr Bürger wenden sich
von den großen Parteien ab. Betrachtet man das Treiben in Berlin,
kann man es ihnen nicht verübeln. Auch parteiintern wird der Ruf nach
Erneuerung immer lauter. Bei den Sozialdemokraten führt der
Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert den Widerstand gegen das Weiter-so in
einer GroKo an. Auch in anderen Parteien wie der CDU wird Verjüngung
gefordert. Und im Netz wachsen sich die Forderungen nach frischem
Wind und konkreten Inhalten unter dem Hashtag #diesejungenLeute zu
einer energischen, viralen Bewegung aus. Es wird Zeit, dass diese
Energie nicht nur im Netz einen Kanal findet, sondern sich auch
konkret politisch zeigen kann. Mit dem Aschermittwoch beginnt das
Fasten und die Zeit der Umkehr. Man muss die religiöse Symbolik auch
nicht überstrapazieren: Es wäre schon gewonnen, wenn das närrische
Treiben der politischen Eliten in Berlin jetzt ein Ende hätte. Und
wenn in diesen Kreisen die Erkenntnis fruchten würde, dass A tes
vergehen muss, damit Neues entstehen kann.

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