Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zur Präsidentenwahl in Tschechien: „Bewundernswert eindeutig“

In Berlin und Brüssel hätten vermutlich die
Sektkorken geknallt, wenn Karel Schwarzenberg bei der tschechischen
Präsidentenwahl die Sensation gelungen wäre. Der Außenminister hat
seine Wurzeln nicht nur in Böhmen, sondern auch in Deutschland,
Österreich und der Schweiz. Er ist ein begeisterter Europäer.
Präsident in Prag wird er nun aber nicht, obwohl sich der Fürst im
Wahlkampf von neun Prozent Unterstützung zu Jahresbeginn auf 45
Prozent der Stimmen im Stichentscheid vorgearbeitet hat.
Staatsoberhaupt im Herzen Europas wird der Linkspopulist Milos Zeman.
Das ist bitter für alle, die sich mit Schwarzenberg einen Schub für
die europäische Einigung erhofft hatten. Eine Katastrophe ist das
Wahlergebnis aber nicht. Zeman ist bei allem Hang zum Populismus kein
außenpolitischer Irrläufer wie sein Vorgänger Vaclav Klaus. Er will
und wird die Tschechen mit Europa versöhnen. Der notorische EU-Hasser
Klaus hat den politischen Diskurs in Prag über zehn Jahre hinweg in
eine provinziell-nationalistische Richtung gelenkt. Das kann sich ein
Land mitten in Europa auf Dauer nicht leisten. Damit ist nun Schluss,
und das ist gut so. Tschechien ist im Gegensatz zur Slowakei noch
nicht Mitglied der Euro-Zone. Das kann sich mit Zeman mittelfristig
ändern, muss es aber nicht. Alles wird davon abhängen, wie viel
Streit der neue Präsident in Prag entfacht. Ruhe und Berechenbarkeit
im Innern würden Tschechiens Position nach außen stärken. Allerdings
hat der designierte Staatschef noch am Wahlabend klar gemacht, dass
er auf Konfrontation gepolt ist. Zeman will Neuwahlen erzwingen, um
sich und dem Land eine linke Mehrheit zu sichern. Seine
verfassungsgemäße Aufgabe als Präsident ist das zwar nicht. Legal und
politisch legitim ist es aber sehr wohl. Die liberal-konservative
Regierung von Ministerpräsident Petr Necas hat mit einem unpopulären
Sparkurs viel Zustimmung eingebüßt. Zeman dagegen ist mit einem
bewundernswert eindeutigen Programm in den Wahlkampf gezogen. Er
wolle Tschechien in einen Wohlfahrtsstaat nach dem Vorbild Schwedens
umgestalten, hat Zeman bei jeder Gelegenheit betont. „Steuern rauf!“,
lautet seine Devise. Dafür soll der Staat anschließend für Schüler,
Studenten, Familien und auch im Gesundheitssystem mehr leisten. Für
diese Vision, in deren Zeichen Zeman angetreten ist, haben sich bei
dem Urnengang am Freitag und Samstag 55 Prozent der Wähler
ausgesprochen. Das ist angesichts einer für tschechische Verhältnisse
hohen Wahlbeteiligung von fast 60 Prozent eine Entscheidung, die
niemand ignorieren kann. Necas sollte es sich deshalb gut überlegen,
ob er seinerseits die Konfrontation sucht. Es könnte der Anfang
seines Endes sein, denn die größere Legitimation hat im Augenblick
Zeman. Die Tschechen haben mit dieser ersten Direktwahl ihres
Präsidenten mehr Demokratie gewagt. Es war ein gelungenes Experiment,
an dem sich manch anderes Land in Europa ein Beispiel nehmen kann.
Viele politikmüde Bürger sind aufgewacht und haben den
spannungsgeladenen Debatten der Kandidaten aufmerksam zugehört. Dass
Zeman dabei gepoltert und gepöbelt hat, mag man bedauern. Schlimmer
noch: Er hat seinen Gegner mehrfach unfair attackiert und ihm die
Heimatliebe abgesprochen. Dabei ist Schwarzenberg alles andere als
ein „vaterlandsloser Geselle“. Er selbst nennt sich einen
„Mitteleuropäer“. Damit ist er im besten Sinne ein tschechischer
Patriot. Auch Zemans Spiel mit antideutschen Ressentiments war
unschön und billig. Die Grenzen des gerade noch zulässigen Populismus
hat der künftige Präsident aber nicht überschritten. In Berlin täte
man deshalb gut daran, die schrillen Töne des Wahlkampfes zu
überhören und sich auf das Gemeinsame zu konzentrieren. Angesichts
der bevorstehenden Debatten über das Wesen einer neu gestalteten EU
wäre ein deutsch-tschechischer Streit über die Vergangenheit so
ziemlich das Letzte, was Europa braucht. Autor: Ulrich Krökel

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