Keine Frage: Mit ihrem feigen Doppelanschlag in
Istanbul hat die kurdische Extremistengruppe „Freiheitsfalken
Kurdistans“ (TAK) nicht nur 38 unschuldige Menschen in den Tod
gerissen und mehr als 150 teilweise schwer verletzt. Sie hat sich
selbst, ihrer Sache und letztlich nicht nur allen Kurden, sondern
allen Oppositionellen in der Türkei einen Bärendienst erwiesen,
dessen Folgen noch gar nicht abzusehen sind. Denn der türkische
Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan dürfte jetzt definitiv nicht
mehr aufzuhalten sein. Das sieht auch der Vorsitzende der Türkischen
Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, so. „Es ist verheerend, wie
sich die Türkei entwickelt“, sagte er am Wochenende. „Die Anschläge
begünstigen, dass Erdogan seine Macht weiter ausbauen kann. Die
einzigen Kräfte in der Türkei, die sich gegen ihn stemmen könnten,
sind entweder nicht mehr existent oder bereits sehr stark unter
Erdogans Einfluss.“ Sofuoglu trifft damit den Nagel auf den Kopf.
Denn ohne Zweifel bewegt sich das Land am Bosporus mit ungebremster
Dynamik in Richtung einer Diktatur – mit Erdogan als Despoten.
Natürlich kann der für sich reklamieren, demokratisch gewählt zu
sein, was er im Übrigen auch tut. Allerdings als unparteiischer und
überparteilicher Präsident und nicht als Alleinherrscher an der
Spitze eines Präsidialsystems. Das soll nun das Parlament erledigen –
und damit der Demokratie in der Türkei de facto den Todesstoß
versetzen. Ausgerechnet in dieser aufgeheizten Situation beraten seit
gestern die europäischen Außenminister in Brüssel einen Entwurf für
einen Beschluss zur EU-Erweiterung, der vorsieht, nicht nur die
Gespräche mit den Westbalkanstaaten, sondern auch jene mit der Türkei
fortzusetzen. Und natürlich stößt der türkische Präsident nicht nur
viele von ihnen, sondern auch einen Großteil der EU-Parlamentarier
mit seiner höchst umstrittenen Post-Putsch-Politik und seiner
unnachgiebigen Härte gegen Oppositionelle und Kritiker vor den Kopf.
Der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion, der niederbayerische
CSU-Politiker Manfred Weber, bekräftigte zwar, dass die EU mit der
türkischen Regierung „im Gespräch bleiben“ müsse, sagte aber
gleichzeitig, dass er „eine Beitrittsperspektive in die Europäische
Union für die Türkei nicht mehr“ sehe. Damit vertritt Weber die
Meinung einer überwältigenden und parteiübergreifenden Mehrheit der
Parlamentarier. So meinte etwa auch der Vizepräsident des
EU-Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff (FDP), dass es nicht darum
gehe, Brücken zur Türkei abzubrechen, ein Abschied vom
Beitrittsprozess einen sinnvollen Dialog aber erst wieder möglich
mache. Aber ist nicht auch dies ein Bärendienst, den diese Politiker
der europäischen Wertegemeinschaft erweisen? Macht nicht erst ein
partnerschaftlicher Dialog auf Augenhöhe eine Einflussnahme und einen
Wandel möglich? In diesem Sinne widersprach EU-Kommissionspräsident
Jean-Claude Juncker auch dem EU-Parlament, indem er bekräftigte, dass
er den Beitrittsdialog mit der Regierung in Ankara nicht stoppen
wolle. Völlig zu Recht mahnte er, dass sich Europa und die Türkei
wieder aufeinander zubewegen müssten und sich nicht mit
Riesenschritten noch weiter voneinander entfernen dürften. Und auch
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) lehnte einen Abbruch der
Beitrittsgespräche ab, weil Sprachlosigkeit noch nie weiter geführt
habe. Das hat auch Bundeskanzlerin Angela Merkel erkannt, die sich
nach den neuerlichen Anschlägen in Istanbul diesmal umgehend mit
Präsident Erdogan in Verbindung setzte, um Hilfe und eine enge
Kooperation im Kampf gegen den Terrorismus anzubieten. Etwas
ähnliches hätte sie auch damals, in den Iden des Juli, tun müssen –
und einen Putschversuch des Militärs gegen eine demokratisch gewählte
Regierung als das bezeichnen müssen, was er war. Ein krimineller Akt.
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