Mittelbayerische Zeitung: Mittelbayerische Zeitung (Regensburg, Donnerstag) zum Thema Verhaftung von Oberbürgermeister Joachim Wolbergs

Mittelbayerische Zeitung, Regensburg, Autor:
Ernst Waller

Der Super-Gau – nicht nur für Wolbergs

Das ist der Super-Gau: Oberbürgermeister Joachim Wolbergs sitzt in
Untersuchungshaft. Das Oberhaupt einer Stadt mit rund 3500
Verwaltungsangestellten und etwa 155 000 Einwohnern grübelt in einer
Gefängniszelle über seine Zukunft nach anstatt die Geschicke seiner
aufstrebenden Stadt zu führen. Ein geradezu absurder Gedanke – und
doch ist er Wirklichkeit geworden. Der 18. Januar 2017 wird in die
Annalen der Regensburger Geschichte eingehen, und es wird lange
dauern, bis sich die Stadt von diesem Schock erholt hat. Die Vorwürfe
der Staatsanwaltschaft sind ungeheuerlich, und sollte sich auch nur
ein Bruchteil als wahr herausstellen, wäre dies geradezu
unerträglich. Man muss davon ausgehen, dass die Behörde alles andere
als leichtfertig vorgeht und starke Beweise für ihre Vorwürfe hat.
Die jüngste Entwicklung stellt eine Katastrophe in vielerlei Hinsicht
dar. Sie ist zunächst einmal ein Desaster für die Stadt selbst. Da
können – vor allem die Politiker der regierenden bunten Koalition –
noch so oft das Gegenteil behaupten: Natürlich leidet der Ruf von
Regensburg. Investoren werden abgeschreckt; wer will sich schon an
einer Ausschreibung beteiligen, viel Geld investieren und dann
erfahren müssen, dass er von Anfang an sowieso keine Chance hatte,
weil Grundstücke möglicherweise unter der Hand vergeben werden? Das
ist nicht bewiesen, doch der Tatverdacht ist da und der alleine
reicht, um Investoren das Weite suchen zu lassen. Natürlich leidet
auch die Verwaltung, die im Übrigen auch während der laufenden
Ermittlungen seit Juni 2016 gute Arbeit geleistet hat. Wenn der
oberste Verwaltungschef aber viel Zeit und Energie für seine
Verteidigung aufwenden muss, bleibt nicht mehr viel für die
eigentliche Arbeit. Die jüngste Entwicklung in der Spendenaffäre ist
auch eine Katastrophe für die Menschen in dieser Stadt. Ganz viele
Regensburger haben dem Politiker Wolbergs ihr Vertrauen geschenkt,
ihn mit großer Mehrheit ins OB-Amt gehievt und seine ersten Monate
mit echter Begeisterung begleitet. Auch wenn nur ein Teil der
Vorwürfe zutreffen sollte: Wolbergs hat seine Anhänger tief
enttäuscht. Dass ausgerechnet der Mann, der in der Öffentlichkeit
stets für Transparenz und Offenheit plädiert hat, hinter
verschlossenen Türen ein ganz anderes Verhalten an den Tag gelegt
haben könnte, ist zutiefst irritierend. Enttäuschung sicher auch bei
seiner eigenen Partei: Die Regensburger Sozialdemokraten stehen nach
außen hinter dem OB, hinter vorgehaltener Hand herrschen
Fassungslosigkeit und Kopfschütteln. Viele in der SPD wussten sicher
nichts von den Vorgängen, einige wollten es nicht so genau wissen –
einer aber war wohl alles andere als ahnungslos: Das lässt die
Staatsanwaltschaft deutlich anklingen, wenn sie davon spricht, dass
der OB „im Zusammenspiel mit einem Stadtrat seiner Partei (…) eine
zweite – auf den beschuldigten Bauunternehmer zugeschnittene
Ausschreibung – als Verwaltungsvorlage in den Stadtrat eingebracht
haben“ soll. Eine Katastrophe bedeutet die Verhaftung auch für die
Koalition. Neues wollten die Koalitionäre auf die Beine stellen,
ausgetretene Pfade verlassen, die Stadt bunter machen. Spötter sagen:
Da hat es jemand zu bunt getrieben. Absetzbewegungen sind
unübersehbar: Der grüne Koaltionspartner fordert sogar schon den
Rücktritt von Wolbergs – und befindet sich damit auf einer Linie mit
der CSU. Die Koalition muss sich fragen lassen, warum sie so lange
zugeschaut hat. Sie hätte Wolbergs mit Nachdruck auffordern müssen,
alle Karten auf den Tisch zu legen. Aber es war halt zu bequem, sich
mit Verweis auf die „laufenden Ermittlungen“ aus der Verantwortung zu
stehlen. Ein Desaster ist die Spendenaffäre auch für die Politik
insgesamt. Jene Kräfte dürften Aufwind bekommen, die Politik per se
sowieso nur als schmutziges Geschäft sehen, an dem sich ein paar
Politiker bereichern. Hier sind alle gefordert, diesem
Stammtisch-Gewäsch entschieden entgegenzutreten. Die jüngsten
Enthüllungen sind nicht zuletzt aber für den Politiker und Menschen
Joachim Wolbergs eine einzige Katastrophe. Der einstige
Hoffnungsträger der BayernSPD ist am Tiefpunkt angelangt.
Koalitionäre setzen sich ab und von Unterstützung durch die
Landes-SPD und Bundes-SPD ist schon seit längerem nichts mehr zu
spüren. OB Joachim Wolbergs kann sich, seiner Partei und der Stadt
Regensburg nur noch einen Dienst erweisen: Er muss von seinem Amt
zurücktreten – und zwar rasch. Nur so kann er den Weg frei machen für
einen Neuanfang, den die Stadt so dringend nötig hat.

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