Mittelbayerische Zeitung: „Mittelbayerische Zeitung“ (Regensburg) zum Fall Mollath

von Pascal Durain, MZ

Wenn es eine gesicherte Tatsache im Fall des Psychiatrieinsassen
Gustl Mollath gibt, dann diese: Sein Schicksal ist zu einer schweren
Prüfung für den Rechtsstaat und die bayerische Justiz geworden.
Längst hat sich eine Öffentlichkeit gebildet, die davon überzeugt
ist, dass dieser Mann unschuldig in der forensischen Psychiatrie
sitzt, gar festgehalten wird und der Willkür eines Staats
ausgeliefert ist, die Reiche und Mächtige vor seinen Enthüllungen
schützt. Und die beteiligten Robenträger aus Regensburg und Nürnberg
setzen sich den Vorwürfen aus, sie hätten nicht den Mumm gehabt, ein
krasses Fehlurteil eines Kollegen aufzuheben. Dabei erwartet jeder
von Amts- und Würdenträgern, dass sie ihre eigenen Interessen
hintanstellen und mit größter Sorgfalt darüber entscheiden, was Recht
und Unrecht ist, wer hinter Gitter muss und wer nicht, und – das ist
ebenfalls ein elementarer Bestandteil der Rechtsprechung -, dass sie
den Rechtsfrieden wiederherstellen. Aber wenn eine Vielzahl an
Verfahrensfehlern, neuen Hinweisen und Grundrechtsverstößen nicht
dazu führt, ein Verfahren wiederaufzunehmen – ein Antrag kam dazu
wohlgemerkt zum ersten Mal in der bayerischen Rechtsgeschichte von
der Staatsanwaltschaft -, kann es auch keinen (Rechts-)Frieden geben.
Hätten die Regensburger Richter das Urteil gegen Mollath aufgehoben,
wäre das weder ein Zeichen von Schwäche gewesen, noch hätte man die
Unabhängigkeit der Justiz aufs Spiel gesetzt. Gründe für die
Wiederaufnahme gibt es genug; auch die Regensburger Strafkammer
räumte schwere Fehler des Nürnberger Richters Otto Brixner in dem
115-seitigen Beschluss ein. Doch man entschied sich im Zweifel für
den Richter – und gegen ein Wiederaufnahmeverfahren. Dabei hätte die
Strafkammer auch sagen können: „Ja, es gab Fehler, und davon sogar
viele, daher ist es Zeit, dass diese korrigiert werden. Im Gegensatz
zu manchem Politiker sind wir in der Lage, Fehler einzuräumen.“ Doch
längst sind auch Juristen in dieser öffentlichen Schlacht um die
Deutungshoheit von Paragrafen und Beweisen nicht mehr vor
Engstirnigkeit und Eitelkeiten gefeit. Eine Lesart hat sich dabei
festgesetzt: „Kritik an Urteilen und Entscheidungen? Nein, da habe
sich doch das Volk rauszuhalten. Wir sind doch ohnehin unfehlbar.
Wofür haben wir denn die Instanzen. Warum sprechen wir dann überhaupt
Urteile? Auch die Rechtskraft ist ein sehr hohes Gut!“ Die Richter
können auch sagen: Unabhängiger geht es doch nicht mehr. Der
Wiederaufnahmeantrag der Staatsanwaltschaft wurde von der
Justizministerin angeordnet. Und doch wagte man es, einer scheinbar
mehrheitlichen Meinung zu widersprechen. Zugespitzt lässt sich die
Situation so beschreiben: Während Gustl Mollath sich als Justizopfer
sieht, sehen sich die Richter als Opfer einer Pro-Mollath-Kampagne
der Medien. Aber unbestreitbar steht fest: Es muss weiter aufgeklärt
und aufgearbeitet werden. Mollath polarisiert – das ist klar. Wer
sich auf die Seite der aufgebrachten Öffentlichkeit stellt, sammelt
Punkte und vielleicht Wählerstimmen. Kein Wunder also, dass Politiker
jeder Couleur das erkannt haben – da ist es leichter, einen Zustand
anzuprangern, auf den die Politik ohnehin keinen Einfluss hat. Wer
sich in die Lage der Richter versetzt, muss sich fragen, ob die
Justiz hier nicht längst zum Spielball des Wahlkampfes geworden ist,
weil Politiker tatsächlich versuchen, in die garantierte
Unabhängigkeit der Justiz einzugreifen. In dieser Sache geht es aber
nicht um Stimmen, sondern um die Wahrheit. Wie auch immer die Causa
Mollath nach dieser Entscheidung weitergeht: Die Regensburger Richter
hätten der Justiz einen Gefallen getan, hätten sie den Fall neu
aufgerollt. Ein neuer Prozess, in dem alle Beteiligten zu Wort
gekommen wären, hätte überhitzte Emotionen beruhigen können – und
endlich Klarheit schaffen können. Das wäre nicht nur im Sinne
Mollaths gewesen, sondern auch das Ansehen der Justiz wäre nicht
weiter unnötig in Zweifel gezogen worden.

Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de

Weitere Informationen unter:
http://