Mittelbayerische Zeitung: Riskantes Billionenspiel / Der Bundestag will heute die Details des Euro-Rettungsschirms beschließen. Doch allen ist mulmig dabei.

Ein wenig erinnert der Bundestag heute an den
Film: „Ewig grüßt das Murmeltier“ mit Phil Murray, der in einer
Zeitschleife festhängt und immer wieder denselben Tag erleben muss.
Vor vier Wochen bereits hat der Bundestag den Rettungsschirm EFSF mit
großer Mehrheit beschlossen, mit Kanzlerinnenmehrheit plus rot-grüner
Opposition. Inzwischen hat die Euro-Rettung dramatisch Fahrt
aufgenommen. Heute stehen wesentliche Details zur Abstimmung, die im
September noch schamhaft verschwiegen wurden oder gar nicht
festgelegt werden konnten. Der Euro-Schirm soll nun durch
finanztechnische Tricks von 440 Milliarden auf praktisch über eine
Billion Euro „gehebelt“, vervielfacht, man könnte auch sagen:
aufgeblasen werden. Die Euro-Staaten sollen nur für einen Teil der
als Hilfe für äußerst bedrohte Euro-Schuldner gedachten
Staatsanleihen garantieren. Aus einer Euro Anleihe könnten im
Handumdrehen drei werden. Wenn sich Investoren finden, die dieses
Geschäftsmodell mitmachen, heißt das natürlich. Die Krux ist nur,
dass allen bei dieser gigantischen Aktion mulmig ist. Es sind nicht
die Opposition allein und nicht nur einige Kritiker in den
Koalitionsreihen, die befürchten, die Kanzlerin könne in Brüssel
etwas mittragen, was Deutschland schadet, was Unmengen von deutschem
Steuergeld in ein Wagnis mit extremem Risiko schütten könnte, was den
Wählern hierzulande nicht mehr zu erklären ist. Ein Billionenspiel,
das ganz und gar kein Spiel mehr ist, sondern noch kommenden
Generationen riesige Lasten aufbürdet. Wenn Merkel, Rösler, Seehofer
und Co. Geschichte sind. Vor diesem Hintergrund war es zumindest
richtig, dass heute der Bundestag in seiner Gesamtheit über den
genauen Bauplan des Rettungsschirms abstimmt. Dies stärkt nicht nur
das frei gewählte Parlament, es stärkt auch die Verhandlungsposition
der Kanzlerin in der Brüsseler Runde. Sie hat für den EU-Gipfel heute
Abend das Votum des Bundestages im Rücken. Dieses Billionenspiel wäre
in der Tat ein paar Nummern zu groß, als dass es in einem
Kleingremium des Haushalts-ausschusses verhandelt und beschlossen
werden könnte. Es geht um unser aller Geld. Formal gesetzestechnisch
betrachtet benötigt die Kanzlerin in der heutigen Entscheidung keine
Kanzlermehrheit. Aber würde sie die mindestens 311 Stimmen aus dem
eigenen Lager verfehlen, brauchte sie gar nicht mehr nach Brüssel
fliegen. Ihre – inzwischen angekratzte – Autorität und ihre
Durchschlagskraft wären endgültig dahin. Innen- wie außenpolitisch
betrachtet. Das wäre verheerend für die Euro-Region. Ausgerechnet der
wirtschaftlich stärkste Euro-Staat käme als lahme Ente daher.
„Speedy“ Nicolas Sarkozy, neben Merkel das Alphatier im EU-Gehege,
könnte geneigt sein, finanzpolitische Entscheidungen zu Lasten
Berlins zu forcieren. Doch dazu wird es nicht kommen. Ob die
brisanten Details der komplizierten Euro-Rettungsaktion allen
Abgeordneten bis ins Kleinste vertraut sind, sei einmal
dahingestellt. Selbst sogenannte „Finanzexperten“ beschleicht ein
flaues Gefühl. Hier wird mit Milliarden hantiert, als Garantien,
Bürgschaften, Versicherungen. Die schlichte Gretchenfrage, die hinter
all den vernebelnden Fachtermini steckt, ist doch die: Wer haftet
schließlich, wer trägt das Ausfallrisiko? Nur die Steuerzahler oder
auch – und zwar zu einem erklecklichen Anteil – die privaten
Geldhäuser, Versicherungen? Merkel muss heute, bevor der Bundestag
grünes Licht für den vergrößerten Rettungsschirm gibt, Klartext
reden. Es geht um den Euro – und damit um das Schicksal Europas. Eine
Endlos-Schleife für Entscheidungen gibt es nur im Film.

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