Mittelbayerische Zeitung: Zu Anti-Atomkraft-Protesten

Isar 1 ist vom Netz. Der Protest geht weiter.
Warum eigentlich? Seit dem vergangenen Herbst protestieren die
Menschen in Landshut und Umgebung gegen die Laufzeitverlängerung, sie
haben Petitionen geschrieben, Unterschriften gesammelt, Anträge
eingereicht. Viel Arbeit, viel Zeitaufwand, viel Engagement. Und
alles erfolglos. Der Uraltmeiler Isar 1, konstruiert zu einer Zeit,
als FCKW noch als fantastisches Kühlmittel galt und Kindergärten
routinemäßig mit Asbest isoliert wurden, sollte noch weitere acht
Jahre laufen. Bis 2019, statt wie eigentlich bereits beschlossen,
Mitte 2011 vom Netz zu gehen. Und was die Menschen in der Region auch
taten, nichts konnte daran etwas ändern. Isar 1, hieß es unisono von
Politik und Betreibern, entspreche allen gängigen
Sicherheitsanforderungen. Punkt. Heute steht der Meiler still. Wegen
„Vorliegen eines Gefahrenverdachtes“, so die offizielle Begründung
für das Moratorium. Mitte Mai soll die Reaktorsicherheitskommission
ihren Abschlussbericht vorlegen, bis dahin wird geprüft, wie sicher
das Kraftwerk tatsächlich ist. Schon jetzt gibt es Stimmen aus
Bundes- und Landesregierung, dass Isar 1 möglichst nie wieder ans
Netz gehen soll. Und E.ON-Chef Teyssen denkt laut über einen
endgültigen Atomausstieg nach. Für die Atomkraftgegner sind es
hoffnungsvolle Zeichen, die in diesen Tagen zu vernehmen sind, und
doch bleibt ein schaler Beigeschmack. Denn es sieht ganz danach aus,
als seien es nicht die friedlichen und häufig begründeten Proteste
der Bevölkerung, die Industrie und Politik zum Umdenken bringen. Es
musste erst eine Katastrophe von so ungeheurer Dimension geschehen
wie das Unglück im japanischen Fukushima, damit die Sorgen und Ängste
der Bevölkerung wahr- und ernst genommen werden. Angesichts der viel
beschworenen und oft beklagten Politikverdrossenheit ein fatales
Signal. Warum also überhaupt noch protestieren? Die Teilnehmer der
Landshuter Mahnwache haben an dem Montag nach dem vorläufigen Aus von
Isar 1 abgestimmt. Sie machen weiter. Und was sich in Landshut im
Kleinen zeigt, das ist in Regensburg, in München, in ganz Deutschland
zu beobachten: jetzt erst recht. Denn die Anti-Atombewegung steht vor
der wohl größten Herausforderung und gleichzeitig der größten Chance
seit ihrer Entstehung: Nie zuvor war der endgültige Ausstieg aus der
Nutzung der Kernenergie im gesamtgesellschaftlichen Konsens so
greifbar nah. Gelingen kann er nur mit einem realistischen Zeitplan
und mit sinnvollen Alternativkonzepten – niemandem ist geholfen, wenn
in Deutschland bis 2017 alle Atomkraftwerke vom Netz gehen und der
Strom dann nicht mehr im niederbayerischen AKW Isar 1, sondern im
tschechischen AKW Temelin produziert wird. Alternativen aufzuzeigen,
das ist eine Aufgabe der Bewegung. Konstruktiv bei der Lösung der
Endlagerfrage mitzuarbeiten, die andere. Und nicht zuletzt: Präsent
zu bleiben. Denn wenn E.ON-Chef Teyssen heute über die Kernenergie
sagen muss, dass sich „ohne gesellschaftliche Akzeptanz kein Geschäft
auf Dauer erfolgreich betreiben lässt“, dann ist das auch ein Erfolg
der Anti-Atombewegung. Und ein Zeichen, dass es sich doch lohnt, für
die eigenen Interessen einzutreten und, wenn nötig, auf die Straße zu
gehen.

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