Klima-Proteste werden am Mittwoch das Bild rund um die
Siemens-Hauptversammlung bestimmen. Greenpeace-Aktivisten haben am Vortag den
Ton gesetzt, indem sie das Dach der Konzernzentrale in der Innenstadt besetzten
und ein Transparent mit der Aufschrift entrollten: „Buschbrände beginnen hier“.
Siemens setzte am Dienstagabend einen Kontrapunkt: Das Unternehmen steckt viel
Geld in Siemens Gamesa und erhöht seinen Anteil an dem Spezialisten für
Erneuerbare Energien. Der Minderheitsaktionär Iberdrola scheidet aus.
Dies zeigt: Siemens leistet sich nicht nur Fehler wie jüngst bei dem Geschäft
mit dem Kohleminenbetreiber in Australien. Der Konzern hat vielmehr die Zeichen
der Zeit erkannt. Er handelt entsprechend und sucht sich eine neue Identität.
Der Zukauf des Gamesa-Aktienpakets folgt dabei natürlich einem ökonomischen
Kalkül: Die Zukunft der Energieerzeugung liegt in der Windkraft und auch in der
Solarenergie sowie der Wasserstoff-Produktion. Die Akquisition war aber auch
notwendig, weil sich dieses Geschäft nur gestalten lässt, wenn kein
Minderheitsaktionär querschießt. Iberdrola streute regelmäßig Sand ins Getriebe.
Eingriffe sind aber dringend erforderlich, schließlich liefert Siemens Gamesa
niedrige Margen.
Der Zukauf hat eine Dimension, die über die Investitionssumme von 1,1 Mrd. Euro
hinausreicht. Gamesa gehört zu der künftigen Gesellschaft Siemens Energy –
deren Aktien Siemens im September jedem Aktionär in sein Depot bucht. Was tun
damit? Das Energieunternehmen, dessen Gewinn eingebrochen ist, braucht eine
strategische Perspektive. Die Erneuerbaren Energien sind, sofern des
Auftragsbuch wie versprochen höhere Renditen bringt als bisher, ein Teil dieser
Equity Story.
Mit der Börsennotierung von Siemens Energy wird der Konzern sein Gesicht in der
Ära des Vorstandschefs Joe Kaeser, für den Vorstand Roland Busch als Nachfolger
bereitsteht, völlig gewandelt haben. Energieerzeugung, Industriedigitalisierung
und Medizintechnik: In diese Felder können Aktionäre demnächst ihr Geld getrennt
investieren. Perspektivisch dürfte die Bahntechnik als eigenständige Einheit
hinzukommen, sie wirkt wie ein Fremdkörper im Portfolio des
Industrie-Kerngeschäfts.
Der Konzern hat also künftig viele Identitäten mit divergierenden Interessen.
Wie die Marke sinnvoll geführt werden kann, ist ein Rätsel. Sicher ist schon
jetzt: Deutschland verliert langfristig einen wirtschaftlichen Fixpunkt – aber
auch ein Aktivist wie Greenpeace ein Angriffsziel.
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