Neue OZ: Kommentar zu Türkei / Kurden / Irak

Noch kein Anlass zur Euphorie

Die türkische Regierung setzt nach neun Jahrzehnten feindlicher
Auseinandersetzung und Diskriminierung endlich auf Gespräche mit der
PKK. Nicht nur im eigenen Land, auch im Nord-Irak werden die Führer
eingebunden. Selbst der inhaftierte Rebellen-Chef Öcalan soll zur
dauerhaften Waffenruhe verhelfen, um das „Kurdenproblem“ zu lösen.
Das klingt zu schön, um wahr zu sein.

Die Frage ist nur: Können die Kurden Ministerpräsident Erdogan
trauen, der ihnen noch im Juni zynisch prophezeite, sie würden „im
eigenen Blut ersaufen“? Die Kurden werden es wohl oder übel müssen.
Eine größere Chance hat es bisher nicht gegeben. Nach dem
Verfassungsreferendum sieht sich der Premier gestärkt, den
Demokratisierungsprozess voranzutreiben, die Macht der Armee zu
beschränken und die Rechte der Bürger zu stärken. Dies gibt Erdogan
den Spielraum, im Umgang mit Armeniern und Kurden Entspannung zu
signalisieren. Natürlich hat der Taktiker aus Ankara dabei auch den
künftigen EU-Beitritt im Hinterkopf.

Für Euphorie besteht jedoch noch kein Anlass. Die Forderung der
Kurden, die Zehn-Prozent-Hürde bei Wahlen aufzuheben, ihnen mehr
Autonomie und Unterricht in ihrer Sprache zu garantieren, wird
Erdogan kaum erfüllen. Immerhin gibt der Dialog Hoffnung – solange
kein extremistischer Anschlag den Annäherungsprozess zerfetzt.

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