Frankfurt. Mehr Eintracht Frankfurt war selten.
Zuletzt lenkten die Hessen 1992 die Aufmerksamkeit so stark auf sich.
Damals zelebrierte das Team von Dragoslav Stepanovic „Fußball 2000“.
19 Jahre später elektrisiert der Name Christoph Daum. Mit dieser
Trainer-Einstellung verblüffte der Vorstandsvorsitzende Heribert
Bruchhagen auch Fußball-Insider. Auf den ersten Blick scheinen der
schillernde Fast-Bundestrainer und der sachliche Bruchhagen nicht zu
harmonieren. Bayerns Präsident Uli Hoeneß lästerte in Anspielung auf
Daums Kokain-Affäre, Bruchhagen müsse bei der Verpflichtung
„irgendein Pülverchen im Kaffee“ gehabt haben. Torsten Ziegler sprach
mit Bruchhagen.
Herr Bruchhagen, wie trinken Sie ihren Kaffee? HERIBERT
BRUCHHAGEN: Uli Hoeneß hat Recht. Mit Milch und Zucker, und mit viel
Phantasie kann man sich Zucker ja als weißes Pülverchen vorstellen.
Uli Hoeneß wollte mit diesem Spruch wohl ausdrücken, dass
Christoph Daum nicht zu Ihnen passt. Verstehen Sie die Skepsis?
BRUCHHAGEN: Nein, eigentlich nicht. Ich habe in der Vergangenheit
sicher Trainer eingestellt wie Hermann Gerland, Willi Reimann und
Friedhelm Funkel, die mehr für Stollenschuhe und Trainingsanzug
standen. Christoph Daum ist facettentreicher, das stimmt. Es ist aber
einfach ärgerlich und unnötig, dass Uli auf diese elf Jahre
zurückliegende Kokain-Affäre anspielt. Er ist zu weit weg von
Eintracht Frankfurt. Ich habe mir das Video des fraglichen Interviews
angesehen und sage: Er hat es aus einer Weinlaune heraus gesagt.
Kollegialität steht derzeit hintenan, wenn Felix Magath seinen
Vorgänger Steve McClaren kritisiert, Ralf Rangnick das Gleiche mit
Magath macht und Hoeneß Eintracht Frankfurt ins Visier nimmt. Schadet
es dem Fußball, wenn der Ton so rau ist oder macht es ihn im
Gegenteil noch interessanter? BRUCHHAGEN: Es schadet nicht. Es kommen
immer mehr Zuschauer in die Stadien. Das fachspezifische öffentliche
Interesse am Fußball hat nachgelassen. Heute stehen manchmal auch
absurde Nebenschauplätze im Mittelpunkt der medialen Begleitung,
früher haben die Leute mehr den Kicker gelesen. Ich zähle sicher mehr
zur alten Schule, aber als Teil des Geschäfts kann ich die
Entwicklung nicht beklagen.
Gehören diese Umgangsformen zur Normalität? BRUCHHAGEN: Wir
befinden uns in der Endphase der Saison, wo die entäuschten
Erwartungshaltungen vieler Klubs eine große Rolle spielen. Der Erfolg
des einen bedingt jedoch den Misserfolg des anderen. Das Problem gibt
es in jedem Jahr: Der Sieger der Relegation will mindestens
Fünfzehnter, der Achte Elfter werden, der Fünfte will auf die
Champions-League-Plätze, der Meister will seinen Titel verteidigen.
Da diese Rechnungen nie ganz aufgehen können, kommen die üblichen
Mechanismen wie Trainerentlassungen in Gang.
Wie viele Zweifel mussten Sie als ruhiger, besonnener
Vereinsführer selbst überwinden, um ausgerechnet den extrovertierten
und stark polarisierenden Trainer Christoph Daum zu verpflichten?
BRUCHHAGEN: Darum geht es nicht. wir befinden uns mit Eintracht
Frankfurt in einer sportlich sehr prekären Situation. Das hat alle
sehr verunsichert, vom Platzwart bis zum Präsidenten. In dieser
Situation müssen Antworten gefunden werden: Welche Individualität von
Trainer passt in diesem Augenblick genau, um die Defizite
abzustellen? Wer ist auf dem Markt? Es geht um die beste Entscheidung
im Sinne von Eintracht Frankfurt, nicht um eine im Sinne von Heribert
Bruchhagen. Da muss man auch mal seine Prinzipien über den Haufen
werfen. Ich hatte mich ja vor dem Gespräch mit Christoph Daum im
stillen Kämmerlein mit Bernd Hölzenbein und dem Vorstand Dr. Thomas
Pröckl beraten. Dann habe ich mit zwei Kandidaten gesprochen. Und ich
bin überzeugt, die richtige Wahl getroffen zu haben.
Wie erleben Sie Daum, seit er am Mittwoch voriger Woche bei
Eintracht die Arbeit aufgenommen hat? BRUCHHAGEN: Es wäre verfrüht,
ein Fazit zu ziehen noch bevor überhaupt ein erstes Punktspiel
bestritten wurde. Er macht seine Arbeit total engagiert. Morgens ist
er vor mir hier. Ich komme um neun. Er ist meist bis 17 Uhr da. Wir
sprechen häufig miteinander. Noch näher dran werde ich heute sein,
wenn ich mit der Mannschaft in den Zug steige, um sie zum Spiel am
Sonntag in Wolfsburg zu begleiten. Das handbabe ich seit 25 Jahren
so.
Hat er schon Maßnahmen ergriffen, die Sie in der Meinung
bestärken, den Richtigen geholt zu haben? BRUCHHAGEN: Jeder Trainer
hat seinen eigenen Stil. Christoph Daum bestellt sich viele Spieler
zum Gespräch. Von seiner Arbeit in der Türkei hat er die
Ganztagesarbeit mitgebracht. An drei von fünf Tagen sind die Spieler
ganztags hier. Bei Friedhelm Funkel war es nur der Dienstag.
Gefällt es Ihnen, wenn Daum Frankfurt mit seiner Zeit bei
Leverkusen vergleicht und forsch von Europa als Ziel spricht?
BRUCHHAGEN: Die aktuelle Erwartungshaltung ist schlicht der
Klassenerhalt. Mit 48.000 Zuschauern im Schnitt ist das Ziel Europa
für Frankfurt naheliegend. Es ist allerdings Fakt, dass es acht, neun
Vereine in der Liga mit höheren Etats gibt.
Im nächsten Jahr endet ihr Vertrag als Vorstandsvorsitzender bei
der Eintracht. Sie werden dann fast 64 sein. Ist Ihnen nach Ruhestand
in der Harsewinkeler Heimat zumute oder hat der Motivator Daum in
Ihnen ein zusätzliches Feuer entfacht? BRUCHHAGEN: Ich kann mir gut
vorstellen, noch ein paar Jahre in der Bundesliga tätig zu sein. Es
ist nicht auszuschließen, dass ich meinen Vertrag verlängere. Aber
das habe ich ja nicht zu bestimmen.
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