Neue Westfälische (Bielefeld): Flüchtlingstragödie im Mittelmeer¶ Europas Dilemma¶ Julius Müller-Meiningen, Rom¶

Die EU ist Trägerin des Friedensnobelpreises.
Verdient hat sich die Gemeinschaft diese Auszeichnung gewiss dadurch,
dass auf weiten Teilen des Kontinents seit 60 Jahren Frieden
herrscht. Lenkt man den Blick Richtung Süden, wirkt der Preis für die
EU wie Hohn. Im Mittelmeer, angesichts beinahe täglich ertrinkender
Flüchtlinge, ist Europa für ein tödliches Drama mitverantwortlich.
Was kann, was muss die EU tun? Die 28 Mitgliedsstaaten müssen sich
endlich einig werden, wie dem Exodus über das Mittelmeer beizukommen
ist und wie das Massensterben, das dem eines regelrechten Krieges
längst gleicht, beendet werden kann. Europa hat nur wenige Optionen,
wenn es dem Sterben nicht weiter regungslos zusehen will: die
Umwidmung der Grenzschutzoperation Triton zu einer Rettungsoperation,
wie sie mit Mare Nostrum bis Herbst 2014 schon Bestand hatte. Der
Vorwurf, echte Rettungsoperationen würden die Schlepper erst recht zu
ihren Taten animieren, trifft nur bedingt zu. Denn nach dem Ende
dieser Rettungsoperation unter italienischer Flagge hat der Zustrom
noch zugenommen. Zwei weitere Strategien sind denkbar, aber hoch
riskant und aus humanitären Gründen äußerst fragwürdig: eine
Seeblockade, wie sie etwa Italien und Albanien 1997 verabredeten, mit
der Rückführung der Flüchtlingskutter in die libyschen Häfen. Was
geschieht dann mit den Menschen, die schon jetzt erheblicher Gewalt
ausgesetzt sind? Oder die Bemühung, das Übel an seinen Wurzeln zu
packen. Dazu gehören Entwicklungshilfe und die Förderung stabiler
Transitländer wie etwa Tunesien sowie die Bekämpfung der
Schlepperkriminalität, langfristig und auch vor Ort. Die EU-Staaten
sollten zudem die Möglichkeiten für eine legale Einreise erhöhen.
Mittelfristig müssen außerdem Wege gefunden werden, wie Flüchtlinge
eine Anerkennung als Asylsuchende noch vor der lebensgefährlichen
Überfahrt nach Italien prüfen lassen können. Allerdings dürfte allen
Beteiligten klar sein: Wer einmal Tausende Dollar investiert und
unmenschliche Qualen bei der Durchquerung der Wüste hinter sich
gebracht hat, den wird auch eine lebensgefährliche Fahrt über das
Mittelmeer nicht mehr abschrecken.

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