Neue Westfälische (Bielefeld): Gerüchte um Rücktrittsangebot Schäubles Pflichtbewusstsein PETER JANSEN

Vor zehn Jahren wurde Wolfgang Schäuble zum
Krüppel geschossen. Wer den Weg des 68-jährigen Bundesfinanzministers
seit jenem verhängnisvollen 12. Oktober 1990 verfolgt, empfindet
großen Respekt vor der Energie, der Willenskraft und der
Leidensfähigkeit des querschnittgelähmten Rollstuhlfahrers und findet
keine Antwort auf die Frage: Warum tut dieser Mann sich das an? Seit
dem Attentat hat Schäuble in seiner politischen Laufbahn schwere
Rückschläge hinnehmen müssen und sich nie davon unterkriegen lassen.
Er galt Mitte der 90-er Jahre als Kronprinz des damaligen CDU-Chefs
und Bundeskanzlers Helmut Kohl, bis dieser sich entschloss, 1998
selbst noch einmal anzutreten. Kurze Zeit war er Nachfolger Kohls im
Parteivorsitz, bis er über eine Belanglosigkeit im CDU-Spendenskandal
stürzte und den Traum von der Kanzlerschaft begraben musste.
Bundespräsident durfte Schäuble nicht werden, weil seine
Parteivorsitzende Angela Merkel und FDP-Chef Guido Westerwelle ihn
nicht im Schloss Bellevue sehen wollten. Ausgerechnet im Amt des
Bundesfinanzministers, das er für sich gewünscht hat, wird er jetzt
mit schrecklichen Spätfolgen des Attentats konfrontiert. Operationen,
Medikamentenunverträglichkeit, schlechte Wundheilung und
Druckgeschwüre hindern ihn daran, sein Amt so auszuüben, wie er es
für geboten hält. Dass sich ein Mann von so hohem Pflichtbewusstsein
mit der Frage des Rücktritts beschäftigt, ist naheliegend. Bislang
hat Schäuble alle Gerüchte über einen Amtsverzicht dementieren
lassen. Er will nicht zulassen, dass seine Behinderung darüber
entscheidet, ob und wie lange er sein Amt als Finanzminister ausüben
kann. Noch ist er überzeugt, er sei den Anforderungen gewachsen. Wenn
er zu einer anderen Überzeugung gelangt, wird er ohne zu zögern die
Konsequenz ziehen und den Stuhl räumen.

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