Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Bertelsmann-Umfrage Sozialromantik BERNHARD HÄNEL

Die Deutschen denken sozialer als vielfach
vermutet. Mit einer Ellenbogengesellschaft jedenfalls kann sich die
Mehrheit nicht anfreunden – zumindest so lange nicht, wie die eigene
Zukunft nicht gefährdet ist. Geht es den Deutschen gut oder zumindest
besser, sind sie immer noch bereit zum Teilen und Umverteilen.
Vermutlich aber nur so lange, wie es sie nicht selbst betrifft. Der
Grund für diese generöse Haltung dürfte darin liegen, dass die
Bundesrepublik schneller und auch schmerzloser aus der Wirtschafts-
und Finanzkrise herausgekommen ist als nahezu der komplette Rest der
Welt. Ein Verdienst der abgewählten Großen Koalition, an die sich
dieser Tage nicht wenige mit Wehmut erinnern dürften. Dem früheren
Finanzminister Peer Steinbrück dürften darob die Ohren klingeln. Die
Furcht vor Sozialkürzungen spricht für Realismus. Mögen auch die
Folgen des demografischen Wandels erst ansatzweise realisiert sein,
so sind sie doch längst in den Köpfen. Nichts wird bald mehr sein wie
gewohnt. Wer sich heute als junger Mensch in Schule und Ausbildung
anstrengt, dem stehen bald alle Türen offen. Wer sich verweigert,
kann tiefer fallen denn je. Verteilungskämpfe ungeahnten Ausmaßes
sind 2030 vorstellbar, wenn die Sozialromantik von der Realität
abgelöst wird.

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