Der Euro ist stabil. Weder Währungs- noch
Finanzkrisen haben ihm bislang nachhaltig geschadet. Nicht einmal die
Schuldenkrisen in Griechenland, Irland, Portugal und Spanien haben
bemerkenswerte Wirkung gezeigt. Warum also sollte, wie Jean-Claude
Trichet, Präsident der Europäischen Zentralbank, vorschlägt, ein
europäisches Finanzministerium eingerichtet werden? Man mag einsehen,
dass man die Euro-Länder darüber schärfer kontrollieren und solideres
Haushalten durchsetzen kann. Möglicherweise würden die
haushaltsschwächeren Länder auch von günstigeren Zinsen profitieren.
Schließlich wird man Trichet auch zugestehen müssen, dass ein
Regelungsmechanismus für den Ausgleich von Wettbewerbsfähigkeit und
Produktivität nationaler Volkswirtschaften erforderlich ist, wenn ein
Wechselkurs nicht mehr zur Verfügung steht. Der deutsche
Länderfinanzausgleich etwa ist ja auch so ein Mechanismus. Aber
abgesehen davon, dass wir einen Euro-Rettungsschirm haben, der für
günstigere Zinsen schon sorgt, und abgesehen davon, dass mit dessen
Inanspruchnahme die betroffenen Länder bereits scharf kontrolliert
werden, wie Griechenland erst gestern wieder erfahren musste: Wollen
wir die nationale Hoheit über unsere Staatsfinanzen an einen
weitgehend abgehoben agierenden Menschen irgendwo in Europa abtreten?
Glaubt im Ernst jemand, dass die Abgeordneten eines Parlaments, vor
allem aber des Bundestags, ihr Haushaltsrecht und damit sich selbst
und dazu die staatliche Souveränität aufgeben werden? Man muss sich
nur die Reaktionen der wohlhabenderen Bundesländer in Erinnerung
rufen, die schon jetzt gern ihre Haushalte so nach unten steuern,
dass sie möglichst nichts mehr in den Länderfinanzausgleich zahlen
müssen. Nein, die guten Europäer – und dazu muss man
selbstverständlich auch Trichet zählen – unterliegen einem schweren
Irrtum: Europa definiert sich in den Herzen und Köpfen der Menschen
nicht über die Wirtschafts- und Finanztheorie oder -praxis, sondern
über die Idee von Freiheit und Demokratie. Europa kann nicht über
Geld und Wachstum als erfolgreiches Friedensprojekt fortgeführt
werden, sondern nur über Identität und Austausch. Wer den Europäern
die – nationalen – Identitäten nimmt, wer ihre parlamentarischen
Rechte wie das Budgetrecht beschneidet, wer ihnen die Freiheitsideen
– zum Beispiel die Freiheit des grenzenlosen Reisens – nimmt wie
zuletzt die dänische Regierung mit neuen Grenzkontrollen, der
entzieht der europäischen Idee den Boden und öffnet der
Renationalisierung Europas Tür und Tor. Mit allen Risiken, die darin
für Krieg und Frieden liegen. Kurz: Er erreicht das Gegenteil dessen,
was zu erreichen war. Das muss sich der EZB-Chef Trichet ausgerechnet
als Träger des Karlspreises, der Auszeichnung des europäischen
Gedankens, heute dann doch vorhalten lassen: Er will ein engeres
Europa – und bedroht es damit. Ein europäischer Finanzminister wäre
das Ende der europäischen Idee: ein König ohne Land.
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