Für einen Moment hat Amerika nach dem Schock der
Schüsse von Tucson tatsächlich innegehalten. Und wie so oft nach
nationalen Tragödien in der Vergangenheit hat sich die schockierte
Nation hinter ihrem Präsidenten gesammelt. Den hohen Erwartungen ist
Barack Obama mit seiner bewegenden Rede gerecht geworden. Als Tröster
der Nation und nicht als Ankläger trat Obama, mehr Pastor als
Politiker, vor seine trauernden Landsleute. Dass er kein Wort verlor
über Amerikas laxe Waffengesetze, die geradezu absurde Vernarrtheit
in Pistolen und Gewehre, mag aus europäischer Sicht ein Versäumnis
darstellen. Doch in Amerika lässt sich mit solchen Hinweisen nichts
gewinnen. Obama weiß das. Dass heißt indes nicht, dass Amerika schon
in Kürze, wenn die Schockwellen verebbt sind, wieder zur Tagesordnung
übergehen wird. Die politische Aufarbeitung, welche politische Folgen
aus den Schüssen von Tucson zu ziehen sind, wird kommen. Und Obamas
Wort wird dabei besonderes Gewicht haben, gerade weil er sich bei der
Frage nach Schuld und Verantwortung bislang so weit zurückgenommen
hat. Schon jetzt lässt sich freilich sagen: Die Schüsse von Tucson
werden Amerika verändern, und dies auch, obwohl zwischen den Motiven
des jungen Schützen und dem aufgeheizten politischen Klima nach
bisherigem Erkenntnisstand tatsächlich kein Zusammenhang besteht. So
wie es aussieht, waren die raschen Schuldzuweisungen an die Adresse
der rechten Aufwiegler im Land überzogen und voreilig. Nichts belegt,
dass sich Jared Loughner von der martialischen Gewehr-Rhetorik einer
Sarah Palin, eines Glenn Beck oder Rush Limbaugh tatsächlich
beeinflussen ließ. Sein Hass ist, wie es aussieht, wahnhafter Natur.
Und doch ist das Blutbad von Arizona nicht zu trennen von dem
politischen Klima, in dem sich die Tat ereignete. Amerika hat dies
ähnlich empfunden. Das Land hat sich selbst im Spiegel gesehen. Und
der Anblick war tatsächlich alles andere als schön. Amerikas
Wutbürger, die sich in der rechtsrebellischen Tea Party sammeln, und
ihre demagogischen Sprachrohre in Radio und Fernsehen werden nach dem
nationalen Entsetzen über die Schüsse von Tucson zwangsläufig einen
Gang zurückschalten müssen. Alles andere würde zu Recht als
geschmacklos empfunden werden. Das Blutbad von Tucson kann nun, so
ist zumindest zu hoffen, einen Wendepunkt in dieser Entwicklung
darstellen. Gewiss: Die politischen Lager werden sich auch weiterhin
hart beharken. Und überdies wirft die nächste Präsidentschaftswahl
schon jetzt ihre Schatten voraus. Eine raue, durchaus hemdsärmelige
Gangart gehört seit je zum Stil amerikanischer Innenpolitik. Und doch
wird ein neuer, ein Stück weit gedämpfterer Ton in die politische
Auseinandersetzung einziehen. Zivile Umgangsformen sind auch eine
Frage des gegenseitigen Respekts. In seiner Trauerrede hat Obama an
diese Selbstverständlichkeit erinnert. Der Beifall, der ihm
entgegenschlug, war geradezu orkanartig.
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