Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Prominente und Sex Vorsicht beim Verurteilen CARSTEN HEIL

Arnold Schwarzenegger, Jörg Kachelmann,
Dominique Strauss- Kahn und eine wilde Sexparty hunderter kleiner
Ergo-Versicherungsvertreter mit zahlreichen Prostituierten in
Budapest haben in dieser Woche Schlagzeilen gemacht und waren Thema
in den Gesprächen vieler Menschen. Um eines nur klarzustellen: Auch
wenn die Fälle hier in einem Atemzug genannt sind, fehlt ihnen jede
juristische Vergleichbarkeit. Eine Menge anderer Prominenter, die mit
ihrem Sexual- und Liebesleben aufgefallen sind, könnten sich
einreihen: König Carl XVI. Gustaf von Schweden, Horst Seehofer, Franz
Beckenbauer, Boris Becker, Lothar Matthäus, Fritz Wepper und viele
andere sind im Nachtleben aufgetaucht, haben den schnellen
Sexualverkehr mitgenommen, ein Zweitleben geführt, die Partnerinnen
in hoher Frequenz gewechselt oder ein Kind gezeugt, das nicht in
einer stabilen Partnerschaft entstanden ist, sind fremdgegangen.
Alles Vorkommnisse, über die sich die Gesellschaft gern das Maul
zerreißt. Schon werden Psychiater und Sexualwissenschaftler befragt,
ob Promis besonders anfällig sind für solche Eskapaden. Ja, sagen die
Experten eilfertig und liefern als Begründung „Entspannung bei
Stress“, „das Ausnutzen der Machtposition“, „viele Gelegenheiten“ und
Ähnliches. Das ist Unsinn. Auch Nichtprominente verhalten sich so wie
die nur beispielhaft genannten Prominenten. Und sie verhalten sich
damit in Alltagssituationen anders, als es die allgemeinen
Vorstellungen von Sexualmoral, oft sogar die eigenen Vorstellungen
davon, besagen. Das ist ein Grund dafür, dass viele Menschen so gern
über ein Verhalten dieser Art bei den Berühmtheiten und Mächtigen
lesen und reden. „Schau“, denken sie, „die sind auch nicht besser.“
Seitensprünge, Kuckuckskinder und Bordellbesuche sind an der
Tagesordnung. Ist die Gesellschaft total versext? Gehen die
westlichen Gesellschaften zu freizügig mit Körperlichkeit, Erotik und
sexuellen Reizen, die sie überall umgeben, um? Fehlen Grenzen oder
sind die Menschen nur zu schwach, sie einzuhalten? All diese Fragen
schnell zu beantworten, ist wohl zu einfach. Denn es geht immer um
den einzelnen Menschen. Ist er von Allmachtsfantasien getrieben, von
der Gier danach, was er für Leben hält, von Unzufriedenheit mit dem,
was er hat, oder von der verzweifelten Sehnsucht nach Wärme, Nähe und
Harmonie? Macht er den Versuch, durch Sexualität die Einsamkeit zu
überwinden, wie Erich Fromm es schreibt? Und sei es nur für Sekunden?
Vielleicht ist Jörg Kachelmann ein seelisch ganz armer Mann, der –
jenseits des vor Gericht verhandelten möglichen Gewaltaktes – bei
seinen vielen Geliebten nur suchte, was er nirgendwo fand. Vielleicht
ist er aber auch ein Sexbesessener. Das weiß nur er allein. Deshalb
sind die Fälle auch so schwer zu beurteilen – jenseits eines
möglichen Straftatbestandes. Auch wenn die Eskapaden uns alle
interessieren – letzlich gehen sie nur den einzelnen Menschen und
seine Nächsten an.

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