Die Rufe nach einer Neuorientierung im
Euro-Krisenmanagement – weg von der knüppelharten Spar- und
Entschuldungspolitik, hin zu einem stärkeren Akzent auch auf Wachstum
und Sozialverträglichkeit – sind fast so alt wie die Krise selbst.
Schon verschiedentlich wurde eine Kurskorrektur ausgerufen. Die
italienischen Ministerpräsidenten Monti und Renzi, Frankreichs
Präsident Hollande und auch die Spitzenkandidaten im vergangenen
Europawahlkampf, Jean-Claude Juncker und Martin Schulz, haben jeweils
einschlägige Hoffnungen geweckt. In der Substanz hat sich wenig
geändert. Der Wahlsieg von Alexis Tsipras in Griechenland könnte nun
tatsächlich eine Trendwende bedeuten. In den vergangenen Monaten hat
sich bereits eine entsprechende Dynamik aufgebaut. Mehrere Elemente
wirken in dieselbe Richtung: Da ist die Geldpolitik des EZB-Chefs
Mario Draghi, vor allem das gewaltige Anleihenprogramm mit einem
Volumen von über einer Billion Euro; da ist Junckers
Investitionsoffensive, die noch in der Planung steckt, aber
Aussichten auf 315 Milliarden eröffnet; da ist die Talfahrt des Euro
mit ihrer Schubwirkung für die EU-Exportwirtschaft; da ist der
Absturz des Ölpreises, der Kaufkraft freisetzt; und da ist die
Bereitschaft der EU-Kommission, die Stabilitätsvorschriften der
Eurozone wachstumsfreundlicher auszulegen. Zu alledem kommt nun der
erste Fall von siegreicher Fundamentalopposition gegen den
Merkel-Kurs. Alexis Tsipras, heißt es, sei ein geschickter Populist.
Sein Triumph ist indes eine geradezu logische Quittung für die
sozialpolitische Blindheit, mit der das Euro-Management in
Griechenland vorgegangen ist. Man kannte da nicht Reich und Arm,
nicht Reeder und kleinen Krauter. Man kannte nur „die Griechen“, und
die hatten angeblich alle über ihre Verhältnisse gelebt und sollten
nun den Gürtel enger schnallen. Die man nicht kennen wollte, haben
sich jetzt gemeldet. Es ist erstaunlich, dass es so lange gedauert
hat. Und keiner weiß, ob es womöglich schon zu spät ist. Für Tsipras
ist der versprochene Neuanfang eine Aufgabe, um die man ihn nicht
beneidet. Für die EU ist er eine zweite Chance, für die sie dem neuen
Mann in Athen dankbar sein sollte.
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