Günter Verheugen, einst Kommissar für
EU-Erweiterung, wies gern darauf hin: Der Ausdruck
„Beitrittsverhandlungen“ entspricht nicht der Realität. Viel zu
verhandeln gibt es da nicht. Es geht nicht um einen Deal, sondern um
die Übernahme zehntausender Vorschriften und Regeln, auf die sich die
EU im Laufe der Zeit verständigt hat. Der Kandidat kann nicht
entscheiden, welche Teile er sich zu eigen macht und welche nicht.
Grundsätzlich ist das, was die EU ihren Besitzstand nennt, ein
Pflichtenbuch. Ankara hat das nie wahrhaben wollen. Vor allem
Präsident Erdogan zieht es vor, seiner Bevölkerung weiszumachen, die
EU sei arrogant, wenn sie Anforderungen formuliere oder gar „rote
Linien“ ziehe. Nein – die Haus- und Geschäftsordnung der EU besteht
aus lauter roten Linien. Die Türkei ist freilich völlig frei, ob sie
sich dem anschließen will oder nicht. Aus dieser Verantwortung sollte
man sie nicht entlassen. Auch nicht durch Abbruch der sogenannten
Verhandlungen, die Erdogan nur zu gern provozieren würde. Die
Aussetzung der Gespräche, wie sie das Europa-Parlament ins Auge
fasst, ist hingegen eine angemessene Reaktion auf die Demontage von
Demokratie und Rechtsstaat in Erdogans Reich. Die EU ihrerseits hat
sich der fortgesetzten Heuchelei schuldig gemacht. Sie hat Gespräche
über Beitritt geführt, zugleich haben maßgebliche EU-Regierungen,
Deutschland und Frankreich vorneweg, klar gemacht, dass sie auch eine
Türkei, die die Bedingungen erfüllt, nicht im Club haben wollen. Es
ist ein Trauerspiel – mit mehr als einem Schwarzen Peter.
Pressekontakt:
Neue Westfälische
News Desk
Telefon: 0521 555 271
nachrichten@neue-westfaelische.de
Original-Content von: Neue Westf?lische (Bielefeld), übermittelt durch news aktuell