Der Gipfel naht, und wieder geht es vorher hoch
her. Im Oktober waren es unter anderem die EU-Kommissarin Viviane
Reding und ihr Chef José Manuel Barroso, die Missfallen über Angela
Merkels Vorstellungen zur Krisenbewältigung bekundeten. Jetzt hat
erneut ein Chor der Missvergnügten die Stimme erhoben, mit dem
Luxemburger Premier Jean-Claude Juncker an der Spitze. Und wieder
kann man aus dem Getöse nicht schließen, dass die Kanzlerin bei der
Brüsseler Zusammenkunft mit ihren Kollegen auf eine stabile Wand des
Widerstands stoßen wird. Die lauten Töne sind kein Zeichen von
Stärke, sondern Ausdruck von Frust über die eigene Schwäche. Es geht
keineswegs nur um Meinungsverschiedenheiten, wie die gemeinsame
Währung am besten zu schützen sei. Die Kritiker hegen vielmehr
grundsätzliche Zweifel an der Merkel–schen Europa-Politik. „Will
Deutschland noch Europa?“, lautete am Mittwoch die Schlagzeile in der
französischen Zeitung La Croix. Die Kanzlerin findet den Verdacht
absurd. Sie nimmt für sich in Anspruch, dem Gemeinschaftswerk EU
„ziemlich leidenschaftlich und gut“ zu dienen, und zwar da, wo es am
nötigsten ist. Denn wenn der Euro scheitere, sagt Merkel, „dann
scheitert Europa“, und das werde sie nicht zulassen. Solche
Bekenntnisse haben den Argwohn nicht zerstreut. Das gilt übrigens
nicht nur für die Wahrnehmung in den Partnerländern, wie bei der
gestrigen Bundestagsdebatte daheim deutlich wurde. Das hat auch mit
dem herben Stil der Kanzlerin zu tun. Leidenschaftlichkeit ist bei
ihr ein interner Vorgang. Und Merkels europapolitischer Frontmann
Corsepius hat enorme Mühe, unter seinen Gesprächspartnern in den
anderen EU-Regierungen Vertreter der eigenen intellektuellen
Güteklasse zu erkennen. Da kommt dann gern als Anordnung rüber, was
besser Vorschlag wäre. Indes gibt es auch einen objektiven Grund,
warum so viele Partner das gute alte Europa durch eine rücksichtslose
neue Germania verfinstert sehen. Auf dem Papier des Lissabonner
Vertrages ist die Bedeutung des Mitglieds Deutschland – wie auch der
anderen Mitgliedsstaaten – stärker relativiert als je zuvor. Berlin
ist nur noch eine von 27 Hauptstädten, immer mehr Gesetzgebung wird
in Brüssel und Straßburg gemacht. Doch in der Praxis der Euro-Krise
ist es umgekehrt: Deutschland, die mit Abstand leistungsfähigste
Volkswirtschaft, ist der alles entscheidende Spieler. Ohne Merkel und
ihre finanziellen Ressourcen kann die Feste Euro gegen die
anstürmenden Kräfte des Marktes nicht gehalten werden. Mit ihr aber
geht es nur zu ihren Bedingungen. Diese Einsicht verbittert. Das ist
für die Berliner kein Grund, sich von den vernünftigen Konzepten
abbringen zu lassen, die sie zur Stärkung der Euro-Immunabwehr
entwickelt haben. Sie sollte aber Anlass sein, über eine bessere
Vermittlung nachzudenken. Das übergroße Gewicht der Deutschen in
Euroland ist nicht nur ein Problem der anderen. Es ist auch ein
deutsches Problem.
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