Politik kann man nicht dauerhaft gegen das Volk
machen, vor allen Dingen nicht zu Lasten des Volkes. Vor dem
Hintergrund dieser Erkenntnis treibt uns das Wahlergebnis in
Griechenland in ein Dilemma: Die griechischen Wähler haben gestern
klar gemacht, dass sie nicht länger unter dem Spardiktat der EU
leiden wollen. In Deutschland wie in zahlreichen anderen Ländern
schwindet zeitgleich die Geduld und die Bereitschaft zur Solidarität
mit den Pleitiers der Bankrott-Staaten. Jede Regierung eines
Geber-Landes wird über kurz oder lang vor die Frage gestellt, wie
lange das mit der Fremdfinanzierung von Euro-Staaten zu Lasten der
eigenen Haushalte noch funktionieren soll. Schon jetzt sind Vermögen
und Vorsorge vieler deutscher Bürger durch die Null-Zins-Politik der
Geldinstitute de facto geschrumpft. Pleite-Griechen gegen Vermögens-
und Zukunftsangst in Deutschland – das ist der Stoff, aus dem früher
Kriege entstanden. Es ist ein Dilemma, aus dem ein neuer Ausweg
gesucht werden muss. Er wird nicht über ein Entweder-Oder gefunden
werden. Das ist der Grundfehler der Geld- und Schuldenpolitik der
europäischen Bürokraten in Brüssel, aber auch in den Hauptstädten der
EU-Mitgliedsländer von Beginn an, dass sie der Spar- und
Haushaltspolitik keine Richtung geben außer der einer schwarzen Null.
Kann man als Werte-Union in Europa von einem Mitgliedsland dauerhaft
verlangen, dass es Renten und Löhne unter die Armutsgrenze fallen
lässt? Kann man von der Regierung eines Mitgliedlandes dauerhaft
verlangen, dass sie sich in den Staub wirft vor eine Troika von
Finanzbeamten und Bürokraten aus EU, IWF und EZB? Das Wahlergebnis
von gestern zeigt, wohin das führt. Die vermeintlich zu gefällige
Regierung wird abgewählt. Griechenland ist weiter handlungsunfähig
und von den Entscheidern in EU, IWF und EZB abhängig. Die
griechischen Milliardäre bleiben weiter unbehelligt. Die in Armut
zurückbleibende Bevölkerung wird die Schulden niemals mehr begleichen
können. Gewonnen und gelöst ist damit also nichts, weder für die
Stabilitätsinteressen der Euro-Länder noch für die Griechen. Nur eins
ist schon jetzt erkennbar: Die Abwertungsspirale des Euro wird mit
der Wahl gestern und der ungelösten Griechenfragen noch weiter und
schneller nach unten führen. Man kann Finanzfragen nicht unabhängig
von den Menschen beantworten. Deshalb muss es neue Verhandlungen mit
neuen Lösungsvorschlägen geben. Dem Wahlsieger Tsipras werden seine
vollmundigen Erklärungen, mit der Sparpolitik sei es nun vorbei,
dabei noch schwer auf den Schultern liegen, wenn er seinen
Gläubigern, ohne die er nichts nichts tun kann, gegenüber sitzt. Aber
die Gläubiger haben ebenfalls kaum noch Trümpfe in der Hand. Was
fehlt ist politische Führung und ein politisches Programm, das Europa
wieder als gemeinsamen Lebens- und Wirkungsentwurf der alten Welt
versteht, als Reformversprechen, das unseren Marken-Wert in der
globalisierten Welt stabil hält. Nur solch ein glaubwürdiges
Versprechen kann den Bürgern ihre irrationale Furcht vor dem
Untergang des Abendlandes nehmen. Man erwartet es von großen
politischen Führern; oder wenigstens von solchen, die es durch ihr
Handeln werden wollen.
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