Die Erwartungen an den elften Bundespräsidenten
Joachim Gauck waren hoch. Noch ist seine Präsidentschaft jung und der
72-jährige ostdeutsche Pastor nicht einmal 100 Tage im Amt. Doch es
lässt sich guten Gewissens sagen, dass er die Erwartungen bisher
erfüllt hat. Gauck hat dem Amt Würde und Autorität zurückgegeben. Man
hört wieder mit ungeteilter Aufmerksamkeit zu, was uns der
Bundespräsident zu sagen hat. Aber Gauck ist nicht nur authentisch
und ein geübter Mann des Wortes, er ist auch ein politischer
Präsident. Nirgendwo zeigte sich das besser als auf seiner
Nahostreise. Er hat den Respekt sowohl der Israelis als auch der
Palästinenser gewonnen und durchweg den richtigen Ton getroffen.
Natürlich hat er auch die israelische Siedlungspolitik in den
besetzten Palästinensergebieten kritisiert, und das absolut zu Recht.
Aber er hat seine Kritik aus einem ehrlichen Geist der Freundschaft
heraus entwickelt, ohne Schaum vorm Mund und ohne die Maßlosigkeit,
die sich andere angebliche Israelfreunde hin und wieder leisten.
Deutschland wird Israel immer in besonderer Weise verbunden bleiben,
schon weil die Existenz des jüdischen Staates, aber auch seine
Politik und seine Ängste von der geschichtlichen Erfahrung des
Holocausts nicht zu trennen sind. Joachim Gauck weiß das und hat das
in einfühlsamer Art zum Ausdruck gebracht. Insgesamt ist Gauck ein
Staatsoberhaupt, das sich ungerne Gedanken oder Formulierungen von
anderen borgt. Er denkt selber und spricht häufig frei. Seine
Unabhängigkeit führt manchmal zu verbalen Zusammenstößen. So hat er
sich von einer Äußerung Angela Merkels distanziert, das Existenzrecht
Israels sei Teil der deutschen Staatsräson. Inhaltlich liegt Gauck
hier zwar ganz nahe bei der Kanzlerin, aber er wählte lieber die
eigene Formulierung: Das Existenzrecht sei „bestimmend“ für die
deutsche Politik. Und in einem Interview mit der Zeit hat Gauck
seinen Vorgänger Christian Wulff kritisiert: Er selbst hätte den
Wulff–schen Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ so nicht gesagt,
sondern lieber die Wendung gewählt, dass die Muslime, die hier leben,
zu Deutschland gehören. Es erstaunt, dass ein Bundespräsident die
Bundeskanzlerin korrigiert und auch seinen Vorgänger im Nachhinein
richtigstellen will. Ehrlich gesagt wären beide Einwürfe nicht
unbedingt nötig gewesen. Dass die hier lebenden Muslime zu
Deutschland gehören, stimmt zweifellos. Dass der Islam aber nicht
dazugehören soll, führt zu einer verqueren, überflüssigen Debatte.
Auch ragt dieser Wulff–sche Satz als einzige politische
Hinterlassenschaft aus einer ansonsten eher verkorksten
Präsidentschaft heraus. Hier deutet sich an, dass Joachim Gauck auf
einen Hang zur Besserwisserei aufpassen muss. Allerdings bezeichnet
sich Gauck selbst noch als Lernenden, und Anfängerfehler sind noch
jedem Bundespräsidenten passiert. Insgesamt ändert diese Beobachtung
nichts an dem positiven Gesamtbild. Joachim Gauck ist als
Bundespräsident ein Glücksfall.
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