Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Kauders Drohungen Argumentation Fehlanzeige CARSTEN HEIL

Es gehört zu den politisch wichtigsten Aufgaben
eines Fraktionsvorsitzenden, parlamentarische Mehrheiten zu
organisieren. Ohne demokratische Mehrheit in den wichtigsten Fragen
wird keine Regierung, keine Kanzlerin lange im Amt sein. Deshalb
reagiert Volker Kauder so empfindlich darauf, dass 60 seiner
Abgeordneten jüngst nicht für die Griechenlandhilfe gestimmt haben.
Es geht um seine persönliche Reputation und die Gestaltungsfähigkeit
der Regierung. Kauder droht Abweichlern damit, sie mit einer
Karrierebremse zu bestrafen. Sie sollen nicht mehr in wichtigen
Ausschüssen mitarbeiten dürfen. In der Tat kann es sich die Kanzlerin
– und damit auch Kauder – auf Dauer nicht leisten, die eigenen Leute
nicht hinter sich zu haben. Nur weil die Große Koalition eine große
Mehrheit hat, bekam Merkel ihre Politik durch den Bundestag. Strafe
und Drohung sind aber oft ein Zeichen von mangelnden Argumenten oder,
wie in diesem Fall, von mangelnder Bereitschaft zu argumentieren. Und
sie sind für die Fraktionsspitze der CDU kontraproduktiv. Denn die
Basis der Partei und viele Wähler sehen die Sachlage im Fall der
Griechenhilfe ähnlich wie die Unions-Rebellen. Schnell könnte sich
Kauder Gegenwind einfangen. Deshalb sollte er sich weitere Drohungen
gut überlegen. Auch wenn es sich bei der Abstimmung nicht um eine
Gewissensfrage gehandelt hat. Kauder sollte sich vielmehr freuen,
dass es in der CDU überhaupt noch Diskussions- und Widerspruchsgeist
gibt, die ansonsten recht stromlinienförmig brav auf Kanzlerinnenkurs
ist. Widerspruch und Streit waren lange Zeit eher Markenzeichen der
SPD. Und, wen wundert–s, deshalb ist Kauder in guter Gesellschaft.
SPD-Fraktionschef Franz Müntefering bedrohte seine Abgeordneten
gleich mit Entzug des Mandats, genauer damit, sie nicht wieder für
den Bundestag aufzustellen. Es ging um die Agenda 2010. Und Herbert
Wehner erdrohte sich vor vielen Jahren gar den Titel „Zuchtmeister“.
Seitdem sollte sich Politik aber weiterentwickelt haben.

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