Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR Niedersachsen hat gewählt Gespaltenes Lager-Land THOMAS SEIM

Der Kampf um die Macht steht auf des Messers
Schneide. Selten hat das ein Wahlgang so deutlich gemacht wie der in
Niedersachsen. Bis tief in die Nacht lieferte sich Rot-Grün als
Herausforderer ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der dortigen
schwarz-gelben Koalition. Die wichtigsten Lehren des Machtkampfs: 1.
Die Union steht nicht so sicher, wie es manche Umfragen vor der Wahl
nahelegten. Obwohl sie in Hannover den Regierungschef stellt und die
Bundeskanzlerin kräftig mithalf, bleibt sie klar unter 40 Prozent, so
klar, wie sie das wohl selbst nicht erwartet hat. Das Ergebnis auf
die Bundeswahl im Herbst übertragen, bedeutet, dass es derzeit keine
Mehrheit für Schwarz-Gelb gibt. Immerhin ist es der Union gelungen,
Schwarz-Gelb zu stabilisieren. Darauf kann Angela Merkel nun für die
Bundestagswahl hoffen. Es bedeutet aber auch, dass der Lagerwahlkampf
so hart und gnadenlos werden wird wie selten zuvor. 2. Der
Kanzlerkandidat der SPD, Peer Steinbrück, hat trotz seiner
dramatischen Fehler in der Wahlkampfführung seiner eigenen Partei
offenbar weniger stark geschadet als viele – bis hinein in die
obersten Gremien der Partei – befürchteten. Der Niedersachsen-SPD ist
es gelungen, die eigenen Wähler mit landespolitischen Themen zu
stabilisieren, dem Gegenwind aus dem Bund zu trotzen und im Ergebnis
zuzulegen. Das kann der Beginn eines Neustarts für den angeschlagenen
Steinbrück-Wahlkampf werden. Den braucht die SPD allerdings auch
dringend. Rot-Grün hat zwar deutlich zu Lasten von Schwarz-Gelb
zugelegt. Bis Dezember allerdings war das rot-grüne Lager noch weiter
vorn, so weit, dass die Union völlig chancenlos schien. 3. Die
Liberalen haben ein klares Ergebnis, das sie in den Landtag tragen
und dennoch keines ihrer Probleme lösen wird. Mit dem Abschneiden der
FDP ist der Parteivorsitzende Philip Rösler stabilisiert. Mit einem
Ergebnis unter 5 Prozent hätten die Liberalen schon nächste Woche
eine neue Führung suchen müssen. Nun wird es weitergehen wie bisher.
So richtig gut ist das kaum. Die FDP bräuchte eine
Selbstverpflichtung auf einen Liberalismus, der mehr ist als das
Dauergerede von Steuersenkungen. 4. Die Grünen bleiben auch in ihrem
linken Landesverband so stark, wie man sie aus den letzten Wahlgängen
erwartet. Indes: So selbstbewusst die Partei auch sein, so stark sie
auch werden mag – ihre Regierungsfähigkeit und ihr Einstieg in eine
Regierung hängt wie zu rot-grünen Anfängen an der SPD. Die
schwarz-grüne Option ist mit Niedersachsen wieder perdu. 5. Das war–s
auch schon. Das oft vorhergesagte Viel-Parteien-Parlament ist
Geschichte. Weder die Linkspartei im Westen noch die Piraten sind in
der Lage, sich dauerhaft für Länderparlamente interessant zu machen.
So bleiben – sechstens – nur die Lager. Schwarz-Gelb oder Rot-Grün:
das sind die Alternativen, zwischen denen wir uns im Herbst
entscheiden müssen. Seit gestern ist das Rennen wieder offener
geworden. Oder andersherum: Das Land ist tief gespalten.

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