Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Schule fängt wieder an Dabei sein DIRK MÜLLER

So schnell sei-en sie vergangen, die
Sommerferien, sagte mein 13-jähriger Sohn in der vergangenen Woche.
Der Genuss der verbleibenden Auszeit wurde schon getrübt vom Wissen
um den wieder nahenden Ernst des Lebens: frühes Aufstehen, die
Herausforderungen des Schulalltags, die Hausaufgaben, das am Ergebnis
von Klassenarbeiten hängende Selbstwertgefühl und die Anerkennung
durch Eltern, Großeltern. Ich konnte alles nachfühlen, zu lebendig
war meine Erinnerung an die eigene Schulzeit. Der zweite Sohn ist
zehn Jahre alt und steht vor dem Wechsel von der Grundschule auf die
weiterführende, die Gesamtschule in seinem Fall. Er freut sich
uneingeschränkt auf die neue Welt, ein Kennenlerntag an der neuen
Schule hat einen ermutigenden Eindruck hinterlassen. Wesentlich für
seine Vorfreude ist die Erwartung eines jungen, männlichen, eines
„coolen“ Klassenlehrers – dieses Rollenmodell hat er in der
Grundschule offenbar schmerzlich vermisst. Was unsere Jungs bewegt,
bewegt in diesen Tagen viele Kinder. Auf ganz unterschiedliche Art
und Weise, so unterschiedlich, wie Kinder und ihre Erlebniswelten
eben sind. Was unsere Familie bewegt, bewegt viele Familien in
Nordrhein-Westfalen, der Wunsch, den Kindern möge gelingen, was auch
uns Erwachsenen nicht immer gelang: der Start in ein glückliches
selbstbestimmtes Leben mit Chancen und Möglichkeiten, mit mindestens
einer Ahnung von Selbstverwirklichung und Sinn. Wer von uns erfasst
schon auch nur annähernd, auf welche Anforderungen des Lebens wir
unsere Kinder heute vorbereiten müssten? In meiner Schulzeit in den
Siebzigern gab es einige Exoten, die sich freiwillig in ersten
Computer-AGs trafen – sie galten als Sonderlinge mit wenig Phantasie
für Freizeitgestaltung. Schule hat die Aufgabe, weiter
vorauszuschauen, muss künftigen Erfordernissen einer sich rapide
verändernden Welt, Weltwirtschaft und Umwelt heute im Unterricht
Rechnung tragen. Offenheit, Kontakt zum wirklichen Leben ist dafür
unverzichtbar. Gut ist: Die Bildungspolitik in Nordrhein-Westfalen
ist dabei, auf Kritik, auf internationale Analysen zu reagieren.
Hoffentlich erfüllen sich die Erwartungen: Förderung muss effektiver,
sozialer oder ethnischer Hintergrund unbedeutender werden in unserem
Bildungssystem. Kinder waren immer wertvoll. Für den Arbeitsmarkt
sind sie künftig wertvoller denn je. Die Chancen auf Beschäftigung
sind nicht schlecht, heutige Schüler werden später gebraucht, soweit
man das heute voraussehen kann. Eine gute Ausbildung erweitert ihre
Möglichkeiten – das hat sich nicht geändert. Dennoch: Wenn allein die
Berufsaussichten unseren Blick auf die Schulzeit unserer Kinder
bestimmen, lassen wir zu viel aus. Die Fortschritte beim
Schlagzeugspielen, die Tore im Fußballverein sollten hier und da eine
Fünf in Mathe ausgleichen. Was Schulpolitik nicht bieten, nicht
ersetzen kann, ist die Solidarität von Eltern mit ihren Kindern, das
An-ihrer-Seite-Stehen und -Bleiben, das Ermutigen und Begleiten, das
Hinhören und Aushalten, das Trösten und Loben und Mitfreuen. Das
Dabeisein.

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