Ein Drama ist es nicht, dass das deutsche
Wirtschaftswachstum in diesem Jahr mit weniger als einem Prozent
gering ausfällt, handelt es sich doch vermutlich um ein Tal zwischen
zwei Bergen. Sorgen muss man sich eher darüber, dass die
Wachstumsraten der alten Industrieländer im Verlauf der Jahrzehnte
insgesamt sinken. Auf die möglichen Folgen dieses Prozesses ist
unsere Gesellschaft bislang kaum vorbereitet. In der
„Enquetekommission Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ des
Bundestages wird seit fast zwei Jahren nach Antworten gesucht. Eine
Variante der künftigen Entwicklung ist diese: Wenn es weniger Zuwachs
zu verteilen gibt, müssen sich manche Bevölkerungs- und
Interessengruppen darauf einstellen, dass ihr materieller Wohlstand
weniger wächst als heute – oder dass er stagniert. Für den Verzicht
auf größeren materiellen Fortschritt, wie er seit den 1950er Jahren
üblich war, verlangen die Bürger aber einen Ausgleich. Irgendetwas
muss schließlich von Generation zu Generation besser werden, sonst
würden die Neugier und die Kreativität von Millionen Menschen ins
Leere laufen. Vielleicht freuen sich die künftigen Beschäftigten über
mehr Freizeit, eine neue individuelle Gestaltbarkeit ihres
Arbeitslebens, wahrscheinlich beanspruchen sie bessere
Bildungseinrichtungen, Sozialdienste und kulturelle Angebote. Das
wiederum könnte mehr öffentliches Geld kosten. Auch die Unternehmen
müssen dann mehr Steuern zahlen, auch sie haben weniger Mittel zur
Verfügung. Kommt es so, deutet sich eine Verschiebung von Werten und
Zielen an – eine Relativierung materiellen Zuwachses zugunsten
anderer Arten von Lebensqualität. Um diese einzuschätzen, brauchen
wir aber auch neue Maßstäbe. Das Bruttoinlandsprodukt, die wertmäßige
Summe der produzierten Güter und Dienstleistungen, reicht dann nicht
mehr aus.
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