Mit einer massiven Ausweitung der Warnstreiks im
öffentlichen Dienst versucht die Gewerkschaft Verdi, in der nächsten
Verhandlungsrunde eine spürbare Einkommenserhöhung für die 2,1
Millionen Tarifbeschäftigten bei Bund und Kommunen zu erzwingen.
Allein in NRW, wo schwerpunktmäßig Busse und Bahnen in den Depots
bleiben sollen, erwartet die Gewerkschaft 70.000 Streikteilnehmer.
Vergangene Woche waren es gut 50.000. Doch diese Steigerung, ja die
Warnstreiks insgesamt in dieser Woche sind eigentlich überflüssig.
Denn Verdi-Chef Frank Bsirske und die Spitzen der Arbeitgeber haben
bereits die Weichen gestellt für eine Einigung am Verhandlungstisch.
Beide Seiten haben nach Abschluss der zweiten Gesprächsrunde
ausgesprochen einmütig den konstruktiven Verlauf der zweitägigen
Tarifverhandlungen herausgestrichen. Das ist in der Sprache der
Tarifpolitiker in allen Branchen die verschlüsselte Botschaft, dass
man vor einem Kompromiss steht. Auch wenn es gleichzeitig vor allem
auf Gewerkschaftsseite heißt, man sei – angeblich – noch weit
auseinander. Diese Worte sind eher ein Signal an die eigenen Reihen,
dass man hart verhandele, als dass sie den tatsächlichen,
vertraulichen Verhandlungsstand widerspiegeln. In dieser Tarifrunde
für den öffentlichen Dienst haben die Arbeitgeber inzwischen sogar
erklärt, sie seien „bereit zu einer sozialen Komponente“. Sie
akzeptieren also die Forderung von Verdi und Beamtenbund nach einem
Festbetrag, obwohl er untere Gehaltsgruppen überproportional
verteuert, was aus Sicht der Kommunen Jobs gefährden kann. Mit diesem
Einlenken der Arbeitgeber ist der entscheidende Knackpunkt dieser
Tarifrunde bereits im Prinzip beiseitegeräumt. Dass die Höhe des
Festbetrags und die darauf aufbauende prozentuale Erhöhung der
Einkommen abhängig sind vom Ausmaß der Warnstreiks, ist ein immer
wieder vorgebrachtes Argument der Gewerkschaften. Bewiesen ist es
nicht, schon gar nicht für den öffentlichen Dienst. Denn hier treffen
Arbeitsniederlegungen nicht Arbeitgeber, denen Umsatz und Gewinne
entgehen, sondern sie treffen die Bürgerinnen und Bürger. Es ist das
gute Recht der Tarifbeschäftigten bei Bund und Kommunen, ihren Wunsch
nach höheren Einkommen mit Warnstreiks zu untermauern. Allerdings ist
es durchaus rechtlich zu hinterfragen, ob solche
Arbeitsniederlegungen zum jetzigen Stand der Verhandlungen angebracht
sind, und vor allem ist zu bezweifeln, dass solche Aktionen bereits
nach der ersten Gesprächsrunde angemessen sind, wie so oft in den
letzten Jahren geschehen. Weil Verdi mit dem Warnstreikritual Macht
demonstrieren und Mitglieder gewinnen kann. Das ist der eigentliche
Grund für die Streikrituale, wie es Gewerkschaftsinsider jüngst in
einem lesenswerten Buch nachgewiesen haben. In Streikzeiten wächst
die Mitgliederzahl. Ein legitimes Interesse von Gewerkschaften.
Streiks sind nach geltender Rechtsprechung aber das letzte Mittel zur
Lösung eines Tarifstreits. Warnstreiks sind nach Ansicht der
Arbeitsrechtler kleine Nadelstiche darunter. Einst beschränkten sie
sich auf wenige Stunden. Im öffentlichen Dienst sind daraus aber
inzwischen ganztägige Arbeitsniederlegungen geworden. Und fast so
etwas wie ein fester Bestandteil von Tarifrunden: 2005 ging es
zuletzt ohne Warnstreiks. Das lag nicht daran, dass die
Gewerkschaften bescheiden oder die Arbeitgeber großzügig waren.
Vielmehr war beiden Seiten vor neun Jahren klar, dass die
beabsichtigte Reform des Tarifvertrags im öffentlichen Dienst nur zu
erreichen war, wenn auf Arbeitskampfmittel verzichtet wurde. Das
Projekt gelang. Viele Bürger wären erleichtert, wenn man es auch mal
beim Einkommen versuchen würde.
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