Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Vor der US-Präsidentenwahl Das Risiko der Wundertüte DIRK HAUTKAPP, WASHINGTON

Noch dreimal schlafen. Dann ist das Schlimmste
überstanden: der teuerste, realitätsverweigerndste und unlauterste
Wahlkampf, den die Welt in ihren zivilisierteren Regionen je gesehen
hat. Gäbe es eine Ombudsstelle, bei der Demokratien wegen Täuschung
und Versagen Reklamationen geltend machen könnten, hier wären
Rückzahlungen garantiert. Zwei Milliarden Dollar haben die Karawanen
von Barack Obama und Mitt Romney verschlungen. Genauer: verbrannt.
Denn Bescheid darüber, was der eine im Gegensatz zum anderen mit dem
Land in den nächsten vier Jahren wirklich anstellen würde, weiß nach
monatelangem Bombardement mit Lug und Trug niemand. 2008 ließ sich
die eine Hälfte Amerikas (plus x) von Obamas Heilsversprechen
verführen. Heute kauft (mindestens) die andere Hälfte Romney
Leerformeln ab, die jedem Staubsaugervertreter um die Ohren gehauen
würden. Amerika ist wie ein Grippekranker nachts in der Notapotheke:
Her mit der Medizin – und bleiben Sie mir weg mit den Nebenwirkungen.
Wer Dienstag den Zuschlag erhält, ist ungewisser denn je. Mögen bis
dahin auch neue Umfragen aus Obamas wetter- und charakterfestem
Auftreten nach dem Sturm „Sandy“ Rückenwind für den Amtsinhaber
ableiten. Oder Flaute. Obama kann sich auf die Demoskopie ebenso
wenig verlassen wie sein technokratischer Kontrahent. Beide werden
bis zur letzten Minute ackern. Und Giftpfeile abschießen. Und wieder
nicht plausibel erklären, wie sie ihre Ziele von Vollbeschäftigung
über Energie-Import-Unabhängigkeit bis zur Verhinderung des
Staatsbankrotts erreichen wollen. Dass Romney konstant die längere
Pinocchio-Nase im Gesicht trägt, fällt bislang kaum ins Gewicht.
Dabei haben die Chefetagen zweier Autokonzerne, denen der Exmanager
wahrheitswidrig Arbeitsplatzverlagerungen gen China angedichtet
hatte, den Kandidaten gerade öffentlich abgewatscht, dass es nur so
krachte. Ein Novum, das in Europa nicht unterbewertet werden sollte.
Dort weiß man, was man von Obama II zu erwarten hätte: 1. ein
überschaubares Grundinteresse an der EU (solange nicht der Euro
muckt), weil der Mann längst den Blick auf den pazifischen Raum
gerichtet hat, wo künftig die Musik spielt; 2. einen Verzicht auf
militärische Abenteuer vom Iran bis Syrien bei gleichzeitiger
Ausdehnung von Drohnen-Einsätzen; 3. die feste Erwartung, dass Europa
den Weltpolizisten Amerika endlich wirklich entlastet, wenn es
zwischen Balkan und Nordafrika kriseln sollte. Bei Romney fehlt diese
Berechenbarkeit. Er hat zu viele „Falken“ aus der Bush-Ära. Seine
Allmachtsphantasien, die in der geplanten Aufrüstung des
Militärapparats und in der Rüpelrhetorik gegen Russland und China
gipfeln, darf man nicht einfach abtun. Romneys Büchsenspanner nähren
zwar die Legende, der Kandidat werde, einmal im Amt, schon vernünftig
und moderat. Vorsicht, Risiko! Die rechte Tea-Party-Bewegung brennt
darauf, ihre letztlich auf Staatsverachtung gründenden Konzepte ins
Werk zu setzen. Romney ist eine Wundertüte.

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