Deutschland hat eine Heldin mehr – und eine 
hoffnungsvolle, leistungsfähige und dem Leben zugewandte junge Frau 
weniger. Die mutige junge Türkin Tugce A. ist tot, sie starb an den 
Folgen eines bösen Angriffs. Mag sein, dass es eine Verkettung 
unglücklicher Umstände war, dass der Täter sie nicht tödlich 
niederschlagen wollte. Dennoch ist er mit äußerster Aggressivität auf
sie losgegangen. Das muss für jeden normal empfindenden und denkenden
Menschen schmerzlich, durch das Schicksal der jungen Türkin sogar 
empörend sein. Tugce A., die sich schützend vor zwei Mädchen stellte,
als zwei hirnlose Kerle sie belästigten, hat einen hohen Preis 
gezahlt für ihre Zivilcourage. Den höchsten, den ein Mensch 
entrichten kann. Unabhängig davon, was sich wirklich in der Nacht zum
16. November zugetragen hat, kann sich dieses Land vor der 
türkischstämmigen 23-Jährigen nur in Hochachtung und Respekt 
verbeugen. Sie hat uns gezeigt, wie sich der Mensch richtig verhält 
in solchen Situationen. Aber: Ihr Tod stellt uns auch in Frage. Jeder
Einzelne von uns muss sich fragen, wie er/sie in solch einer 
Situation gehandelt hätte. Denn es war nicht zu viel Zivilcourage, 
die Tugce den Tot gebracht hat, sondern zu wenig. Es stellten sich 
schon beim Vorfall eine Stunde zuvor auf der McDonalds-Toilette zu 
wenig Menschen hinter Tugce. Und auch als der Täter ihr auflauerte, 
sprangen dem Opfer keine Helfer bei. Wie bei dem Manager Dominik 
Brunner, der 2009 auf einem Münchner S-Bahn-Steig vier Schüler vor 
Peinigern schützte und ebenfalls mit seinem Leben bezahlte. Es gibt 
zahlreiche Fälle, in denen mehr Menschen wegsahen als eingriffen. 
Oberflächlich betrachtet lohnt sich Zivilcourage also nicht. Wer sie 
zeigt, kommt selber in Gefahr, so der Eindruck. Das stimmt. Schon dem
Begriff „Courage“ wohnt die Gefahr inne. Mut oder Beherztheit braucht
es nicht, wenn alles in Ordnung ist, wenn keine Gefahr droht. 
Allerdings gibt es täglich Hunderte Situationen, bei denen Menschen 
in Deutschland eingreifen, wenn es brenzlig wird. Meistens endet es 
glücklich und der Vorfall wird gar nicht groß bekannt. Zivilcourage 
wirkt deshalb so gefährlich, weil meist nur Fälle mit negativem 
Ausgang bekannt werden, die glücklichen weniger. Zivilcourage ist 
aber nicht immer gefährlich. Vor allem: Sie wird immer 
ungefährlicher, je mehr Menschen sie haben, je mehr eingreifen. Wenn 
sich Aggressoren vielen Entschlossenen gegenübersehen, weichen sie 
zurück. Je mehr Menschen Mut und Beherztheit zeigen, desto mehr 
verteilt sich das Risiko. Der Einzelne steht unter dem Schutz der 
anderen. Nicht umsonst empfehlen einschlägige Ratgeber, sich in 
solchen Situationen Verbündete zu suchen. Die Alternative, nicht 
einzugreifen, bietet sich nicht. Es wäre darum sinnvoll, im 
Schulunterricht nicht nur Lerneinheiten über Selbstbehauptung zu 
integrieren, sondern auch zum Thema Zivilcourage. Ganz konkret: Wie 
verhalte ich mich im Konfliktfall, der sich zwischen Dritten 
abspielt? Wie organisiere ich mir und dem Opfer Hilfe? Wie 
deeskaliere ich eine aggressive Lage? Ansätze dazu gibt es. Aktuell 
muss die Solidarität der Familie der getöteten Studentin gelten. Es 
ist gut, das Hunderte Menschen zu Gedenkveranstaltungen für Tugce A. 
zusammenkommen. Das ist den Hinterbliebenen Trost. Es bleibt zu 
hoffen, dass die Familie viele Freunde hat, die sich länger kümmern, 
als die aktuelle Betroffenheit anhalten wird.
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