Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTARE Kommentar Kurz vor der Bundestagswahl Schwarz-gelber Gabentisch ALEXANDRA JACOBSON, BERLIN

Bis zur nächsten Bundestagswahl sind es noch elf
Monate. Dazwischen liegt Weihnachten, weshalb sich der Gedanke an
Präsente wie von selbst aufdrängt. Die schwarz-gelbe Koalition ist
jedenfalls bereit zum Geschenkeverteilen, auch wenn hinter den
Kulissen noch um die Einzelheiten gerungen wird. Es deutet sich
bereits an, dass der Gabentisch nicht zu kärglich aussehen soll. Die
Rentenbeiträge sind in dieser Woche von 19,6 auf 18,9 Prozent gesenkt
worden. Das macht schon mal 6,4 Milliarden Euro. Aber das Beste kommt
erst noch: Die FDP will die Praxisgebühr abschaffen. Der liberale
Fraktionschef Rainer Brüderle möchte gleichzeitig auch die
Beitragssätze senken. Die CSU kennt nur einen Wunsch: Das
Betreuungsgeld soll 2013 zwar „nur“ 400 Millionen Euro kosten, könnte
aber danach schnell auf zwei Milliarden Euro anwachsen. Die CDU will
die Rente nach Mindesteinkommen wieder einführen und die
Rentenansprüche älterer Mütter aufwerten. Auch wenn die Preisschilder
fehlen, ergibt der Gegenwert all dieser Präsente ein erkleckliches
Sümmchen. Dabei verfährt auch diese Bundesregierung wie schon andere
vor ihr: Kurz vor einer Bundestagswahl wird das Füllhorn
ausgeschüttet, damit sich die Wähler möglichst wieder für die
regierende Koalition entscheiden. Die Präsente müssen aber nach der
Wahl alle auf Heller und Cent bezahlt werden – die Kosten werden
einfach in die Zukunft verschoben. So ist in den vergangenen
Jahrzehnten die Staatsverschuldung kontinuierlich angestiegen. Alles
wie immer und keine Besserung in Sicht? Wo bleiben die Hinweise auf
die Gegenfinanzierung, also das Eingeständnis, dass eines Tages
womöglich Steuern oder Abgaben erhöht werden müssen? Schließlich
droht eine Konjunktureintrübung, und auch die Steuereinnahmen werden
nicht mehr so sprudeln wie in den beiden vergangenen Jahren. Außerdem
befinden wir uns im Jahr drei der Eurokrise. Diese Bundesregierung
hat alle Kraft eingesetzt, um in ganz Europa den Fiskalpakt zu
verankern. Dieser von Schwarz-Gelb so hoch gelobte und in
EU-Verhandlungen immer wieder geforderte
Schuldenvermeidungsmechanismus hat es in sich: Er begrenzt die
Schulden nicht nur für Bund und Länder, sondern auch für Kommunen und
Sozialversicherungen. Allein die Senkung des Rentenbeitragssatzes
gefährde die Einhaltung des EU-Fiskalpakts bereits im Jahr 2014:
Darauf wies zu Beginn dieser Woche die SPD-Spitze hin. Eine
berechtigte Warnung, die im Regierungslager allerdings ohne Resonanz
blieb. Es stellt sich die Frage, ob die Bürger die Bescherungsrituale
nicht allmählich durchschauen und ganz gut ohne sie zurechtkommen.
Einen kollektiven Aufschrei nach dem Betreuungsgeld hat noch niemand
gehört. Und selbst die von CDU/CSU und FDP beschlossene Senkung der
Rentenbeiträge erfreut sich keineswegs ungeteilter Zustimmung:
Jüngste Umfragen zeigen, dass nur 21 Prozent dafür sind. 74 Prozent
hätten eine Aufstockung der Rücklagen vorgezogen. Das klingt richtig
vernünftig.

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