Neue Westfälische (Bielefeld): NRW-Datenschutzbeauftragter: „Schärfere Gesetze verhindern keine Attentate“

Der NRW-Datenschutzbeauftragte Ulrich Lepper
warnt nach den Attentaten von Paris vor den Risiken eines
ungezügelten Betätigungsdrangs der Sicherheitsbehörden. „Als
Datenschutzbeauftragter kann ich nur davor warnen in Aktionismus zu
verfallen und Instrumente als Allheilmittel anzupreisen, deren
Eignung nicht feststeht“, sagte Lepper der in Bielefeld erscheinenden
Neuen Westfälischen (Samstagausgabe). Aktionismus, etwa bei
Forderungen nach einer Rückkehr der Vorratsdatenspeicherung, sieht
Lepper kritisch. „Die Frage ist, ob sich mit den Regelungen Anschläge
verhindern und Aufklärungsquoten erhöhen lassen. Da habe ich
erhebliche Zweifel. Wir können solche schrecklichen Attentate nicht
völlig verhindern – auch nicht durch eine Verschärfung der Gesetze.
Wenn wir die Grundfesten des Rechtsstaates aufgeben, hat der Terror
schon gewonnen.“

Das komplette Interview:

Herr Lepper, nach dem Terror von Paris hat sich der
Bundesinnenminister für eine Rückkehr zur Vorratsdatenspeicherung
ausgesprochen. Zu Recht? ULRICH LEPPER: Ich rate in der angespannten
Lage zur Besonnenheit. Der Europäische Gerichtshof hat in einer
eindrucksvollen Entscheidung die Gefahren dargelegt, die für das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung bestehen, wenn Daten auf
Vorrat weit im Vorfeld eines Verdachtes gesammelt werden. Daten
dürfen erst verarbeitet werden, wenn ein Verdacht gegeben ist.
Anlasslose Erhebungen halte ich nach wie vor für kritisch. Damit
erzeugen wir Unfreiheit. Frankreich hat ja die
Vorratsdatenspeicherung – alles also nur Aktionismus? LEPPER: Die
Frage ist, ob sich mit den Regelungen Anschläge verhindern und
Aufklärungsquoten erhöhen lassen. Da habe ich erhebliche Zweifel. Wir
können solche schrecklichen Attentate nicht völlig verhindern – auch
nicht durch eine Verschärfung der Gesetze. Wenn wir die Grundfesten
des Rechtsstaates aufgeben, hat der Terror schon gewonnen. Wird die
allgemeine Überwachung nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo zunehmen?
LEPPER: Es ist Aufgabe der Sicherheitsbehörden darüber nachzudenken.
Als Datenschutzbeauftragter kann ich nur davor warnen in Aktionismus
zu verfallen und Instrumente als Allheilmittel anzupreisen, deren
Eignung nicht feststeht. Aus unserer freien Gesellschaft darf keine
Überwachungsgesellschaft werden. Was halten Sie von den Testläufen
des Landeskriminalamtes zur vorausschauenden Polizeiarbeit, dem
Predictive Policing? LEPPER: Dabei sollen zunächst einmal allgemeine
Indikatoren zusammengeführt werden, die nach kriminalistischer
Erfahrung auf ein erhöhtes Einbruchsrisiko in bestimmten Wohngegenden
hindeuten, um etwa durch zusätzliche Streifen rechtzeitig für mehr
Schutz sorgen zu können. Wir können bisher nicht ausschließen, dass
dabei personenbezogene Daten verarbeitet werden. Wir haben das
nordrhein-westfälische Innenministerium um Bericht gebeten. Deutsche
Firmen gleichen Mitarbeiterdaten mit US-amerikanischen Terrorlisten
ab. Stößt das bei Ihnen auf Unbehagen? LEPPER: Es ist vollkommen
unklar, wie schnell jemand auf eine solche Liste kommt. Wenn die
Entstehung nicht überprüfbar ist, halte ich die Methode für
rechtsstaatlich bedenklich. Die Unternehmen befinden sich in einer
Zwangslage: Wenn sie exportieren wollen, müssen sie sich an die
Zollbedingungen der importierenden Staaten halten. Anderseits müssen
sie den Datenschutz ihrer Beschäftigten wahren. Ist der Spagat
zwischen Freiheit und Sicherheit misslungen? LEPPER: Ist es überhaupt
ein Spagat? Wir haben eher ein Spannungsverhältnis zwischen Freiheit
und Sicherheit, allerdings sehe ich dabei keine gegensätzlichen Pole.
Datenschutz sichert Freiheit. Wenn wir in diesem Spannungsfeld nach
angemessenen Antworten suchen, müssen wir kritisch hinterfragen, ob
die Mittel zum Schutz der Sicherheit geeignet und erforderlich sind.
Und ob die Effekte in einem angemessenen Verhältnis zum Erfolg
stehen.

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