Neue Westfälische (Bielefeld): Wulff und Kohl kritisieren Merkel Identitätskrise der CDU THOMAS SEIM

Schlimmer geht–s nimmer: Der Bundespräsident und
dazu der Altkanzler lesen der amtierenden Bundeskanzlerin die
Leviten. Die beiden präsentieren sich als Plattform für einen
verbreiteten Unmut innerhalb der Union über deren gesamte Führung.
Darin liegt die eigentliche Gefahr für das System Merkel: dass alle
diejenigen, die ihren Groll über den Kurs der postmodernen
Beliebigkeit bislang im Herzen behielten oder ihm allenfalls heimlich
im Hinterzimmer Luft machten, nun Kronzeugen für ihren konservativen,
europafreundlichen, christdemokratischen Zweifel an der Kanzlerin
benennen können. Dabei gehen die beiden prominenten Kritiker Merkel
in zwei Kernbereichen christdemokratischer Identität an: Stabilität
der Währung heißt der eine, vereinigtes Europa der andere. Zu Kohls
Zeiten gelang es der Union, das eine mit dem anderen zu begründen.
Die Garantien der Deutschen Mark und die Stärke der deutschen
Wirtschaft garantierten die Stabilität Europas. Umgekehrt gab das
europäische Friedenswerk nach dem Zweiten Weltkrieg der deutschen
Wirtschaft und ihrer Währung die Freiheit des sicheren Wachstums.
Genau in diese Wunde legt vor allem der Exkanzler und
Ex-CDU-Ehrenvorsitzende Helmut Kohl den Finger. Mit Sorge muss die
Union nun beobachten, wie die ehemals unverrückbaren Leitplanken
christdemokratischer Politik wegbrechen. Daran ist die Kanzlerin
nicht unschuldig. Sie trägt mit ihrem stets nur reagierenden
Krisenmanagement die Verantwortung dafür, dass die CDU-Funktionäre,
aber auch die CDU-Mitglieder die Linie ihrer Partei nicht mehr
erkennen, geschweige denn für sie argumentieren können. Es reicht für
erfolgreiche politische Führung eben nicht aus, auf Experten im oder
hinter dem Kabinett zu setzen. Man muss Mehrheiten organisieren. Wie
sehr ein solches Defizit eine Partei, vor allem aber auch eine
Parteiführung bedrohen kann, hat vor ein paar Jahren die SPD mit
ihrem Bundeskanzler und Parteivorsitzenden Gerhard Schröder zu spüren
bekommen. Man mag an dem „Nein“ des stellvertretenden Vorsitzenden
der Unionsfraktion Wolfgang Bosbach ablesen, wie tief die
Identitätskrise der Union inzwischen ist. Es gibt nur wenige
Politiker, die so profiliert und zugleich loyal zur Führung von
Partei und Regierung stehen wie dieser rheinische
Bundestagsabgeordnete. Dass er sich abwendet, ist mehr als die
Unfolgsamkeit eines Innenpolitikers. Es ist tief sitzende Empörung
über den Verlust der parteilichen Identität. Man wartet darauf, dass
die Europa-Partei CDU das Thema Europäische Union wieder positiv für
sich besetzt. Zugleich aber mehren sich die Indizien, dass die
Merkel–sche Politik gar nicht auf einer europäischen Idee gründet,
sondern auf inhaltsleerem Krisenmanagement. Das indes mag eine
Strategie sein, mit der man eine oder zwei kleinere Querelen in
Europa erfolgreich abmoderieren kann. Für die erfolgreiche Führung
einer christdemokratischen Partei und wohl auch einer solchen
Regierung reicht das nicht aus.

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