Mancher Zufall sieht aus wie Absicht. In Berlin 
ist eine Woche angebrochen, von der einige meinen, sie böte einen 
Ausblick auf die neue deutsche Bündnispolitik. Der Premier Indiens 
ist gestern angereist, heute tagt das deutsche mit dem indischen 
Kabinett. Morgen empfängt die Kanzlerin Chinas Ministerpräsidenten, 
um Gemeinsamkeiten in Handels-, Klima- und Entwicklungspolitik 
auszuloten. Deutschland wendet sich gen Osten, obwohl noch keine zwei
Tage vergangen sind, seit Angela Merkel im Truderinger Bierzelt die 
Wende im deutsch-amerikanischen Verhältnis verkündet hat. Kann das 
sein? Eine solche Deutung ist doppelt falsch. Erstens hat die 
Kanzlerin keine Abkehr von den USA gefordert. Zweitens stützen enge 
Beziehungen zu den bevölkerungsreichsten Nationen seit jeher den 
deutschen Exporterfolg. Was sich nun ändert, ist der Ton in der 
deutschen Realpolitik. Er klingt ehrlicher, selbst- und auch 
machtbewusster. Merkel hat sich beim Wahlkampf im Bierzelt nach 
Merkel-Art umständlich ausgedrückt und Interpretationsspielraum 
gelassen. Dass nun vor allem US-Zeitungen von einer 
„richtungsweisenden Veränderung“ schreiben, sagt mehr aus über die 
Panik des liberalen Amerika als über die Politik der Kanzlerin. 
Gewiss hat die Sturheit von US-Präsident Trump bei Merkel Eindruck 
hinterlassen. Sie will sich nicht der Unterwürfigkeit gegenüber einem
Mann zeihen lassen, der weithin als inkompetent gilt. Doch Merkel und
ihre Regierung wissen, dass Trump nicht mit dem politischen Willen 
der USA gleichzusetzen ist, ja nicht einmal mit dem im Weißen Haus. 
Die Umorientierung von Deutschen und Europäern ist indes in vollem 
Gange – und zwar nicht erst seit Trump. Das klappte nicht so gut, man
suchte weiter Hilfe in Washington. Trump verweigert die. Also müssen 
Merkel und Frankreichs Premier Macron Europa stärken. Und das wird 
teuer. Darauf stimmte Merkel das bayerische Festzelt ein. Derweil 
schicken sich Mächte wie China und Indien an, das Machtvakuum zu 
füllen. Für die Bundesregierung ist es ein glücklicher Zufall, dass 
sie bald den G20-Gipfel ausrichten darf. Berlin ist entschlossen, bei
der Neusortierung der Welt mitzumischen, und hält dazu Ausschau nach 
Partnern. Doch die neue Eigenständigkeit darf nicht zu Kopf steigen: 
Kein Krieg, kaum eine Krise wird sich so bald ohne die USA lösen 
lassen.
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