neues deutschland: „Die Idee des Sozialismus würde in den Augen der ganzen Welt diskreditiert“: Erstveröffentlichung eines Briefs des tschechischen Schriftstellers Ota Filip vom Sommer 1968

Einen bisher unbekannten Brief des tschechischen
Schiftstellers Ota Filip veröffentlicht die Tageszeitung „neues
deutschland“ (Samstagausgabe). Filip, einer jener bekannten Autoren
der Tschechoslowakei, die sich kritisch mit den der Entwicklung des
Staatssozialismus auseinandersetzten, unterstützte die
Erneuerungsversuche während des Prager Frühlings 1968. In dem Brief,
den die Redaktion von „neues deutschland“ kürzlich in Archivbeständen
entdeckte, protestiert Filip „gegen die Lügen und gegen die
hysterische Propagandakampagne, die Sie gegen mein Land führen“. Er
wolle auf Tatsachen aufmerksam machen, „die leider in der Deutschen
Demokratischen Republik verschwiegen wurden … Es geht Ihnen um
nichts anderes, als den Bürgern der Deutschen Demokratischen Republik
einzureden, dass die Probleme, die wir gelöst haben und noch zu lösen
haben, in der Deutschen Demokratischen Republik gar nicht
existieren.“

In der CSSR gebe es „kein Zurück zum Kapitalismus und auch kein
Zurück in die Zeiten des groben Dogmatismus“, schreibt Filip. „Sollte
sich jemand dazu verführen lassen und unseren Prozess zur wahren
sozialistischen Demokratie mit Gewalt unterbrechen, dann bedenkt, ich
bitte Sie darum, die Folgen, die eine solche, dem Völkerrecht nicht
entsprechende Tat haben könnte.“ Die Idee des Sozialismus würde in
diesem Falle „in den Augen der ganzen Welt diskreditiert“. Der Brief
wurde Ende Juli 1968 geschrieben, etwa drei Wochen vor dem Einmarsch
von Truppen des Warschauer Vertrages in die Tschechoslowakei.

Ota Filip wurde 1960 schon nach kurzer Zeit wegen kritischer
Äußerungen aus der der kommunistischen Partei der CSSR ausgeschlossen
und zu einer Haftstrafe verurteilt. Seine literarischen Arbeiten
wurden jahrelang nicht veröffentlicht. 1968 bekam er eine Anstellung
als Verlagslektor. Nach der Niederschlagung wurde er entlassen,
erneut verurteilt und 1974 ausgebürgert. Seitdem lebte er in der
Bundesrepublik Deutschland. Filip starb Anfang 2018.

Die Veröffentlichung des Briefs gehört zu einem umfangreichen
Themenschwerpunkt von „neues deutschland“, in dem es um die
gewaltsame Niederschlagung des Prager Frühlings vor 50 Jahren geht.

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