Neues Deutschland: Machtwechsel in Tunesien

Das unerwartet schnelle Ende der scheinbar so fest
gefügten Ben-Ali-Herrschaft hat bei Millionen Menschen im
arabisch-afrikanischen Raum unbändige Freude und Stolz ausgelöst. Da
ist Selbstbewusstsein neu erwacht, das allzu lange verschüttet
schien. Dagegen dürfte Ben Alis Amtskollegen, Verbündeten und dem
tunesischen Sonnenkönig sonstwie zugetanen (Geschäfts)-Partnern das
Blut in den Adern gefroren sein. Dass eine zunächst kleine
Protestbewegung eine solche Eigendynamik entwickelt und einen ganzen
Machtapparat innerhalb von Stunden pulverisiert – das hatte keiner
von ihnen auf der Rechnung. Nicht der französische Präsident, der
noch Mitte der Woche Loyalitätsbekundungen nach Tunis übermitteln
ließ; nicht die deutschen Reisekonzerne, die unbeeindruckt weiter
Hunderte von Urlauber an Tunesiens Discounter-Strände gekarrt hatten
– sie alle glaubten den Erklärungen Ben Alis, er behalte die Sache im
Griff, nur allzu gern. Das Wort »Revolution«, mit dem man in den
westlichen Metropolren – ging es um Georgien oder die Ukraine – gern
kokettierte, wird jetzt tunlichst vermieden. Sie haben diesmal
wahrlich keine Aktie daran, fühlen sich folglich nicht als Sieger und
benehmen sich auch sonst wie Betroffene. Geblieben ist ihre Arroganz.
Oder wie soll man es sonst werten, dass die Bundeskanzlerin zur
Demokratie in Tunesien mahnt, was weder ihr noch ihren Vorgängern
gegenüber Ben Ali jemals in den Sinn gekommen ist?

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