Neues Deutschland: zur aktuellen Politik gegenüber Gaddafi

Gaddafi hat keine Gönner mehr – falls er je welche
hatte. Verlierer, besonders politische, sind einsam, noch ehe sie
Macht und Einfluss ganz verloren haben. Dieses bekannte Szenario
fällt im Falle des schrillen libyschen Führers noch krasser aus.
Verkracht mit den Nachbarn und verfeindet mit der westlichen Welt,
besonders den USA, ist das Libyen Gaddafis schon über die Hälfte
seiner vier Jahrzehnte währenden Herrschaft. Es gibt in
Arabien/Afrika wohl keinen Staatsmann, der die Welt schärfer
polarisierte. Muammar al-Gaddafi ist der Prototyp eines Januskopfes:
auf der einen Seite der Visionär für eine Gesellschaft, die andere –
nicht er – als eine Art islamischen Sozialismus bezeichneten; auf der
anderen ein grausamer manischer Herrscher, dem jegliche Toleranz
fremd zu sein scheint. In diesem Sinne war er ein völlig
politikunfähiger Mensch und musste auf diesem Feld am Ende scheitern.
Seine jüngste Rede beseitigte da letzte Zweifel. Dennoch: Die Kübel
an Abscheu, die derzeit von Europa nach jenseits des Mittelmeeres
gegossen werden, riechen doch erbärmlich nach Scheinheiligkeit.
Gaddafis Öl bescherte ihm ja auf dieser Seite des Mittelmeeres nicht
wenige Geschäftspartner. Gerade die, die sich jetzt am meisten
ent-rüsten, haben ihn aber bis gerade eben noch ge-rüstet. Wieviel
Minuten deren Rüstungsembargo noch vor zwölf gekommen ist,
entscheidet sich in diesen Stunden. Janusköpfig dürfen sie mindestens
auch genannt werden.

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