Frankfurter Buchmesse. Jetzt blinken Grundworte wie
willkommenster Alarm: Schreiben, Lesen. Die Literatur werde 
durchforscht werden, meinte Brecht. Zum Beispiel nach ihrer 
Brauchbarkeit. Muss der Dichter, Intellektuelle wieder Eingreifer 
sein, auch außerhalb des Werkes? Schließlich ist er gesegnet mit der 
Stimme eigenen Denkens – im Gegensatz zum Politiker, der nur die 
fremde, die Wählerstimme im Kopf hat. Dichter, Intellektuelle: 
befähigt zum kritisch öffentlichen Gedanken, wo Vielen oft nur dunkle
Ahnung, beklemmendes Schweigen bleibt. Poesie ist Seelsorge. Aber 
nötig ist auch eine weit in die Gesellschaft blickende Sorgenseele. 
Die sieht: Wo Herrschaft nicht erledigt ist, ist es auch Knechtschaft
nicht. Der Umstand geht Menschen gewaltig, gewalttätig ans Herz – 
also: Dichters Belang. Sonst könnte er bald eingehen am Erlebnis 
seiner Überflüssigkeit. Die einen sitzen auf goldenen Stühlen, andere
auf nacktem Boden – wo sitzen die Dichter? Immer in der Klemme: Denn 
jeder kann nur ganz bei sich sein. Und auch Leisesein ist eine Kraft.
Aber Zeiten gab es, da saß ein Böll bei Zornbürgern in Mutlangen. 
Lang her. Der Böll. Die Zeit ist wieder ähnlich. In Occupy-Zelten – 
übernachteten da auch Dichter? »Immer wieder wird/ Zu wenig 
gewünscht«, so der Dichter B. K. Tragelehn. Frommster Wunsch: Jeder 
Politiker im Parlament beginnt seine Rede mit einem klassischen 
Gedicht. Sofort wären Stimmen und Stimmungen gewandelt und also schon
mit winzigster Winzigkeit ein Beweis erbracht: Eine andere Welt ist 
möglich.
   Reisen bildet, heißt es. Auf den gestrigen Besuch von 
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Athen kann diese Weisheit nur 
schwerlich zutreffen. Dass Merkel ausgerechnet in diesen 
angespannten, von der Aushandlung eines weiteren Sparpakets geprägten
Tagen ihren Antrittsbesuch bei der seit Ende Juni amtierenden 
griechischen Regierung abhielt, wirkt vielmehr wie eine Provokation. 
Merkel weilte nur wenige Stunden in Athen, um mit der Staatsführung 
im abgeriegelten und mit einem Demonstrationsverbot belegten 
Regierungsviertel Gespräche zu führen. Ein Treffen mit 
Oppositionspolitikern oder den immer wieder protestierenden 
Gewerkschaftern stand nicht auf dem Programm. Für Vertreter 
griechischer und deutscher Unternehmen hatte die Bundeskanzlerin 
hingegen Zeit. So mühten sich Tausende, ihre Ablehnung weiterer 
Kürzungen bei Löhnen, Renten und Sozialausgaben auf der Straße kund 
zu tun. Doch Merkel hat davon kaum etwas gemerkt. Die Kanzlerin war 
schließlich nicht gekommen, um mit »den Griechen« zu sprechen, 
sondern um die Marionetten der Troika auf Kurs zu halten – auf dass 
die Volksvertreter ob der Proteste der letzten Wochen bloß nicht 
schwach werden. Den Merkel-Besuch als Symbol für den Willen der EU zu
deuten, Griechenland nicht pleite gehen zu lassen, ist purer 
Euphemismus. Dass sie trotz der Proteste gegen ihre Person nach Athen
kam, zeigt vielmehr ihre Starrsinnigkeit, an den Nöten der Menschen 
vorbei zu regieren.
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