NRZ: Afghanistans ungewisse Zukunft – ein Kommentar von JAN JESSEN

Die Isaf-Mission in Afghanistan ist Geschichte. Am
Sonntag hat die Nato in Kabul einen Schlussstrich unter das gezogen,
was eigentlich als kurzfristige Unterstützungsmission geplant war,
aber schnell zu einem Kampfeinsatz wurde, der 13 Jahre dauerte. Die
Zeremonie fand aus Angst vor Anschlägen unter Auschluss der
Öffentlichkeit statt. Das sagt viel über den Ausgang der Mission.
Fast 3500 Soldaten aus zwei Dutzend Ländern sind in Afghanistan
gefallen, darunter 55 Deutsche. Zehntausende afghanische Zivilisten
und Sicherheitskräfte starben. Als Erfolg können den Einsatz nur
Menschen bezeichnen, die das von Berufs wegen tun müssen, also hohe
Militärs und Politiker.

Es ist ja richtig: In Afghanistan ist in diesem Jahr zum ersten
Mal ein unblutiger und demokratischer Machtwechsel gelungen. Mädchen
können vielerorts die Schule besuchen. In den ruhigeren Provinzen wie
Herat ist eine Generation herangewachsen, die mit Optimismus in die
Zukunft schaut und die ihren Teil dazu beitragen will, dieses
gepeinigte Land aufzubauen. In den vergangenen Jahren sind
Hunderttausende junger Männer und Frauen ausgebildet worden, um den
Kampf gegen die Taliban aufzunehmen.

Es wäre aber naiv anzunehmen, dass diese positiven Veränderungen
Garanten für Stabilität und Frieden in Afghanistan sind. Die Fakten
sprechen leider eine andere Sprache: Im Süden und Osten des Landes
können sich die Taliban frei bewegen. Allein in diesem Jahr starben
bei Kämpfen und Anschlägen über 6000 afghanische Sicherheitskräfte
und weit mehr als 3000 Zivilisten. Die Korruption blüht genauso wie
der Drogenanbau, die Wirtschaft liegt am Boden, das Land ist nahezu
vollständig abhängig von finanzieller Hilfe der Staatengemeinschaft.
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist mindestens so prekär wie jene
im Irak nach dem Abzug der US-Amerikaner.

Nein, dass die Nato jetzt den Isaf-Einsatz beendet. hat nichts
damit zu tun, dass man in Afghanistan einen erfolgreichen Job gemacht
hat – der Rückzug ist allein der Kriegsmüdigkeit in den
Truppenstellerländern geschuldet. Dass die Nachfolgemission
„Entschlossene Unterstützung“ genannt wurde, werden viele Afghanen
mit einem bitteren Lächeln quittieren – sie verstehen die Mission als
das, was sie ist, nämlich ein Feigenblatt, um das Versagen der
Internationalen Gemeinschaft zu kaschieren. Was bleibt von der
Isaf-Mission ist die Erkenntnis, dass der Aufbau von Nationen, von
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nicht herbeigebombt werden kann.
Eine einfache Erkenntnis – die Zehntausende Menschenleben und
Hunderte Milliarden Dollar gekostet hat.

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