NRZ: Das Problem heißt Ausgrenzung – ein Kommentar von JAN JESSEN

Viele türkischstämmige Menschen in Deutschland sind
der Meinung, dass religiöse Vorschriften wichtiger sind als die
deutschen Gesetze. In der Realität hat das nur selten Konsequenzen.
Die klassische Reaktion der Mehrheitsgesellschaft ist aber dennoch
vorhersehbar: Empörung. So ist er eben, der Türke, der Islam. Damit
fängt das Problem an, damit hat es immer schon angefangen. Die
Vorurteile der Mehrheitsgesellschaft prägen immer auch das Selbstbild
von Minderheiten. Die Studie der Uni Münster ist da aufschlussreich:
Gerade junge türkischstämmige Bürger fühlen sich sehr wohl in
Deutschland. Sie gehen weniger in die Moschee als ihre Eltern, sie
erachten Glaubensgrundsätze weniger häufig als wichtiger denn
weltliche Gesetze. Trotzdem ist der Glauben für sie ein bedeutendes
identitätsstiftendes Moment. Ausgrenzung, ob nur gefühlt oder
tatsächlich erfahren, erzeugt Trotzreaktionen. Dazu gehört auch die
Entwicklung eines ausgeprägten, oft chauvinistischen Stolzes auf das,
was von der Mehrheitsgesellschaft abgrenzt. Der Glaube eben, oder die
Herkunft. Das hat sich auch in der aktuellen Armenien-Debatte
gezeigt, in der sich junge Türkischstämmige hinter einen Diktator
scharen, in dessen Land sie nicht leben wollen. Zusammenleben heißt
aber: aufeinander zu gehen. Wir brauchen weniger Empörung, weniger
Ausgrenzung, weniger Einmauern, weniger Vorurteile. Das gilt für
beide Seiten.

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