NRZ: Erdogans nächste Eskalationsstufe – ein Kommentar von JAN JESSEN

Wer auf eine mäßig lustige Satire derart mit dem
Holzhammer reagiert wie der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan,
beweist Kleingeistigkeit, Größenwahn und eine Portion Paranoia
gleichermaßen. Es ist nichts Neues, dass Erdogan satirische Kritik
als Majestätsbeleidigung versteht. Die Einbestellung des deutschen
Botschafters ist aber eine neue Eskalationsstufe. Natürlich könnte
man es sich einfach machen und sagen: Wenn Erdogan von der deutschen
Regierung ernsthaft die Löschung eines Videos fordert, also einen
massiven Eingriff in die Pressefreiheit, dann macht er sich schlicht
zum Narren. Aber das würde dem Ernst der Situation nicht gerecht. Die
Türkei ist ein Nato-Partner. Die EU-Mitgliedschaft ist ihr in
Aussicht gestellt. Gleichzeitig steuert Erdogan das Land auf einen
Kurs, der sich immer weiter von den Werten der EU entfernt, lässt
Schauprozesse gegen unliebsame Journalisten und Oppositionelle
durchführen, macht die Arbeit ausländischer Korrespondenten unmöglich
und führt einen Krieg gegen die eigene Bevölkerung. Je weniger er
wirtschaftliche und sicherheitspolitische Stabilität im Inland und
eine regionale Vormachtstellung vorweisen kann, desto mehr schlägt
der türkische Präsident um sich – eine brandgefährliche Entwicklung.
Die deutsche Regierung muss endlich auf die ständigen Provokationen
und Ausfälle reagieren, auch wenn Erdogan derzeit in der
Flüchtlingsfrage am längeren Hebel sitzt und damit über erhebliches
Erpressungspotenzial verfügt. Ansonsten zieht Deutschland die eigenen
Werte ins Lächerliche.

Pressekontakt:
Neue Ruhr Zeitung / Neue Rhein Zeitung
Redaktion

Telefon: 0201/8042616