NRZ: Es gibt Auswege aus der Krise – ein Kommentar von JAN JESSEN

Droht ein neuer Krieg in Europa? Die Krise auf der
Krim ist auf einem Siedepunkt, es fehlt nicht viel, bis sie
überkocht. Die Temperatur muss dringend heruntergedreht werden.
Aufrufe zur Generalmobilmachung der ukrainischen Armee,
Sanktionsandrohungen gegen Russland und Forderungen nach mehr Härte
gegenüber Moskau sind zu diesem Zeitpunkt das falsche Mittel, sie
heizen den Konflikt nur an. Jetzt ist diplomatisches Feingefühl
gefragt, Kooperation statt Konfrontation. Noch gibt es Auswege aus
der Krise.

Das Vorgehen Putins mag den Westen entsetzen; ein Verstoß gegen
das Völkerrecht ist es allemal. Überraschend ist es aber nicht. Im
Gegenteil: Spätestens, nachdem die militanten und antirussischen
Kräfte auf dem Maidan in der vorletzten Februarwoche das zwischen EU,
moderaten Oppositionellen und Janukowitsch mühsam ausgehandelte
Kompromissabkommen scheitern ließen und der demokratisch legitimierte
Präsident stürzte, war klar, dass Moskau in irgendeiner Form handeln
würde. Die EU hätte deutlicher und entschiedener auf die Umsetzung
des Kompromisses drängen müssen.

Russland sieht sich jetzt als Sachverwalter der Interessen der
russischsprachigen Ukrainer, die sich von dem bedroht fühlen, was sie
als gewaltsamen Umsturz empfinden. Speziell auf der Krim befürchtet
Moskau die Bedrohung vitaler Sicherheitsinteressen, ist dort doch die
russische Schwarzmeerflotte stationiert. Das Säbelrasseln und die
Demonstration roher Stärke folgen einer außen- wie innenpolitischen
Logik. Moskau fühlt sich vom Vordringen des Westens in seine
Einflusssphäre bedrängt. Es ist nicht gelungen, Russland von den
Vorteilen einer vertieften Partnerschaft und einer Demokratisierung
westlicher Prägung zu überzeugen, das Misstrauen aus früheren Zeiten
sitzt noch zu tief. Viele Russen trauern der einstigen Größe nach;
die Mehrheit der Bevölkerung würde es Putin als Schwäche auslegen,
wenn er nicht so handeln würde, wie er es jetzt tut.

Der russische Präsident mag ein kühler Machtpolitiker sein, ein
Hasardeur ist er nicht. Putin kann sich einen großen Konflikt mit dem
Westen nicht leisten, auch, weil sein Land auf die wirtschaftliche
Zusammenarbeit angewiesen ist. Moskau braucht das Gas-Geld des
Westens. Putin wird zu Gesprächen bereit sein, wenn sie auf Augenhöhe
und ohne erhobenen Zeigefinger geführt werden. Und ja, es sollte ein
Referendum über die Zukunft der Ukraine geben. Wenn die
russischsprachigen Ukrainer sich von Kiew lösen wollen, dann sollten
sie das Recht dazu haben. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker darf
nicht nur auf dem Balkan gelten.

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