NRZ: Mutti für alle – Kommentar von Miguel Sanches

Nanu, so kennt man Angela Merkel gar nicht. Meist
war die Kanzlerin behutsamer. Wenn sie auf die Wahlkampfbühne von
Nicolas Sarkozy springt und jede Zurückhaltung fahren lässt, hätte es
eine neue Qualität. Womöglich buchstabieren die beiden Innenpolitik
in Europa neu. Das Management in der Euro-Krise war schon keine
„nationale Angelegenheit“ mehr. Könnte das eines Tages auch für den
Wahlkampf gelten? Angreifbar macht sie sich aber nicht, wenn sie wie
gestern mit Sarkozy ein Interview gibt. Man kann ihr nicht vorwerfen,
dass sie einem Konservativen hilft. Der springende Punkt ist der
Umgang mit Herausforderer Francois Hollande. Man muss von ihr
erwarten, dass sie dem Mann mit Respekt begegnet. Es wäre auch
opportun. Denn der Sozialist ist aussichtsreichster Bewerber fürs
Präsidentenamt. Ein koscherer Umgang mit Wahlkämpfern ist schwer.
Bill Clinton hat Helmut Kohl und Tony Blair wiederum Gerhard Schröder
zu schönen Bildern verholfen. Jacques Chirac hat CSU-Mann Edmund
Stoiber aufgewertet. Auf ein paar Minuten im Weißen Haus, mit der
Stoppuhr gemessen, durfte jeder Kanzlerkandidat hoffen. Und rief
nicht just Hollande bei einem SPD-Konvent aus, „wir gewinnen
zusammen“? Eben. Jeder Auftritt war parteiisch, jeder ein Grenzgang.
Es kam darauf an, welcher Rahmen sich fand und ob Amtsinhaber und
Herausforderer annähernd gleich behandelt wurden. Der Schein wurde
gewahrt. Wie plump aber darf es sein? Es sieht so aus, als wollte
Merkel diesmal Grenzen verschieben. Stilgrenzen, wohlgemerkt. Wie
unverhohlen Sarkozy um sie buhlt, wie unverblümt sie sich
vereinnahmen lässt, verstört. Schöne Bilder mit Gästen gaben bei
einer Wahl nie den Ausschlag. Keiner kann voraus sagen, ob Merkel
über Grenzen hinweg Wähler anziehen wird. Nur einer geht ein Risiko
ein: Sarkozy. Er hat Merkels Hilfe nötig. Sollte sie den Wahlkampf
aufmischen, wird bald jeder Konservativer in Europa sie anfordern.
Mutti für alle? Merkel muss aufpassen, dass sie sich nicht überdehnt.

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