NRZ: Rösler hat der FDP nichts mehr zu sagen – ein Kommentar von WINFRIED DOLDERER

Ein neues Grundsatzprogramm, das immerhin. Für die
nächsten anderthalb bis zwei Jahrzehnte, soll darin über das
„liberale Projekt“ alles Wissenswerte nachzulesen sein. Wenn denn die
Leute so lange von solchen Projekten noch etwas wissen wollen. Ganz
sicher scheint das derzeit nicht.

Hätte also die FDP mit einem Parteitag, wo solch langfristige
Perspektiven zur Debatte standen, nicht einen Monat warten können?
Bis ihr die Wähler einen Fingerzeig gegeben hätten, wie es
weitergeht? Vielleicht nicht gleich mit dem Liberalismus. Gewiss aber
mit dem Parteichef. Rösler schleppt sich ramponiert ins zweite
Amtsjahr.

Wenn es eine Botschaft aus Karlsruhe gibt, dann diese: Nach nicht
einmal zwölf Monaten wirkt er nur noch wie versehentlich auf seinem
Posten. Er hat der Partei nichts mehr zu sagen, was sie überzeugen
könnte. Sie hat sich längst zwei anderen Hoffnungsträgern zugewandt.
Dem NRW-Liberalen Lindner, erst kürzlich aus dem Amt des
Generalsekretärs desertiert, liegt sie heute zu Füßen. Wäre in
Karlsruhe der Vorstand neu gewählt worden, am Ausgang hätte es kaum
Zweifel geben können. Fraktionschef Brüderle, den Rösler vor einem
Jahr vergebens aufs Abstellgleis zu schieben trachtete, überstrahlt
ihn heute mit seinem Talent, liberale Seelen in Wallung zu versetzen.
Und Rösler?

Er hat sich redlich bemüht, die FDP aus der Sackgasse mit dem
Straßenschild „Steuersenkung“ herauszuführen. Sie droht jetzt aber in
einer anderen Sackgasse zu landen: Röslers „Wachstums“-Tiraden finden
nicht einmal in der eigenen Partei ungeteiltes Verständnis. Wie er in
Karlsruhe über die „drei Säulen des Wachstums“ sinnierte, das hatte
die Allüren eines Sektenpredigers. Auch die alte Hybris schimmert
wieder durch, wenn sich die Vier-Prozent-Partei als treibende Kraft
des Wachstums empfiehlt.

Wer am allein selig machenden Wachstum zweifelt, ist für Rösler
ein Miesmacher. Grüne sind „Lebensstildiktatoren“. Wer so redet, hat
mit der aufklärerischen Tradition des Liberalismus wenig zu tun. Er
will die FDP als Partei des bürgerlichen Ressentiments.

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