Morgen blickt die Welt nach Aserbaidschan, wo das
Finale des Eurovision Song Contest (ESC) stattfinden wird. Im Juni
schaut Europa auf die Fußball-EM in der Ukraine, zwei Jahre später
freut sich Weißrussland auf die Eishockey-Weltmeisterschaft und
Russland auf die Olympischen Winterspiele. So schön die Ereignisse an
sich auch sind, so umstritten sind die politischen Führer der Länder,
in denen sie stattfinden. Seit Wochen schon prangern Menschenrechtler
die Lage in Aserbaidschan an, kritisieren, dass das Recht auf
Meinungsfreiheit eingeschränkt wird, dass Gefangene misshandelt und
Minderheiten diskriminiert werden. Nie zuvor wurde so viel über Baku
berichtet wie in jüngster Zeit. Gut, dass der ESC dort stattfindet.
Sonst hätten wir wahrscheinlich nie erfahren, was in Aserbaidschan
los ist. Daher ist auch ein Boykott des ESC oder der Fußball-EM keine
Lösung, so sehr die Rufe nachvollziehbar sind. Boykott heißt: nicht
hingehen. Nicht hingehen bedeutet: nicht hinschauen. Wir aber müssen
den Finger in die Wunde legen, immer wieder auf die
Menschenrechtssituation blicken, sie anprangern, möglicherweise
sanktionieren und vor allem versuchen, die herrschenden Autokraten zu
überzeugen, die Menschen in ihrem Land respektvoll zu behandeln. Dazu
bieten solche Ereignisse eine Chance. Die Aserbaidschaner sind
vielerorts glücklich darüber, dass der ESC in Baku über die Bühne
geht. Sei es, um auf die Probleme des Landes aufmerksam zu machen,
sei es, um ein schönes Lebensgefühl zu schaffen. Natürlich bleibt ein
fader Beigeschmack. Khadija Ismayilova, eine der bekanntesten
Journalistinnen in Baku, bringt es auf den Punkt: „Weil die ganze
Welt uns zuhörte, ist zum ersten Mal – zumindest für eine kurze Zeit
– auch die Regierung gezwungen, uns zuzuhören. Danach aber erwarten
wir einen heißen Sommer. Die Regierung wird sich an denen rächen, die
ihnen das Fest verdorben haben.“ Deshalb darf das ESC-Finale nicht
das Ende des Hinsehens sein.
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