Ostsee-Zeitung: Kommentar zur ersten Rede des neuen Bundespräsidenten Christian Wulff

Gewiss, Wulff hat nicht das rednerische Talent
eines Joachim Gauck. Seine Rhetorik ist trocken. Und ja doch, die
Rede war auch mit vielen Gemeinplätzen und Unverbindlichkeiten
gespickt. Geschenkt. Aufhorchen ließen andere Passagen. Der
Christdemokrat Wulff hat den Millionen Menschen anderer Herkunft und
Nationalität, die bei uns leben, die Hand ausgestreckt. Er hat sie
willkommen geheißen und als Bereicherung für „unsere bunte Republik
Deutschland“gewürdigt. Bedenkt man, dass vor noch gar nicht langer
Zeit das Wettern gegen „Multikulti“ zum vermeintlich guten
konservativen Ton gehörte und Roland Koch mit einer Wahlkampagne
gegen straffällige Ausländer auf Stimmenfang ging, dann sind das doch
bemerkenswerte und durchaus richtungsweisende Worte.

Brücken bauen: Auf diesem Feld muss sich Wulff im neuen
überparteilichen Amt nicht verbiegen, er ist da durchaus glaubwürdig.
Er ernannte die erste türkischstämmige Ministerin, er holte eine
Ostdeutsche in sein niedersächsisches Kabinett.

Mut bewies Wulff mit einem zweiten Akzent. Er trat der
grassierenden Anti-Parteien-Stimmung entgegen. Die Parteien seien
viel besser als ihr Ruf. Wer heute so etwas sagt, der erntet im Volk
Buhrufe, während jede Kritik lebhaften Beifall findet. Der neue
Bundespräsident hat diese Stimmung nicht bedient. Er hat ihr den
Aufruf zum Mitmachen, zum politischen Engagement entgegengestellt.
Recht hat er. Demokratie lebt vom Mitmachen. Aber auch vom
Widerspruch. Unbequem sein, diesen erklärten Anspruch des Vorgängers
hat Wulff erkennbar nicht. Jetzt wird er noch zeigen müssen, das er
kein im Sinne der Regierungspolitik funktionierender Präsident ist.

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