In der selektiven Wahrnehmung der westlichen Welt ist
Boris Nemzow zuletzt kaum noch in Erscheinung getreten. Zu laut, zu
dominierend sind der russische Präsident Putin und der Krieg in der
Ukraine.
Womöglich wäre es dem Oppositionellen mit seinem letzten
Rundfunk-Interview gelungen, in seiner Heimat und darüber hinaus jene
Aufmerksamkeit zu finden, die so wichtig ist, damit sich die
Zustände in Russland ändern. Doch als der Sender Echo Moskwy das
Gespräch mitsamt der scharfen Kritik an Putins Politik in
Schriftform veröffentlichte, war Nemzow schon Stunden tot.
Hinterrücks erschossen.
Die Begleitumstände könnten aus einem der üblichen Mafiathriller
stammen: Der schon etwas ältere Prominente und die sehr junge
Begleiterin gehen allein durch den Abend im Moskauer Zentrum. Als die
Schüsse fallen, verdeckt eine Straßenkehrmaschine die Szenerie auf
einem verwaschenen Video. Die Begleiterin, eine Ukrainerin, bleibt
unverletzt. Alle, auch der Präsident, geben sich entsetzt über die
Bluttat…
Das ist der Stoff, aus dem Verschwörungstheorien sind. Wie üblich,
laufen in Russland die Propagandamaschinen des Staates heiß.
Information, Desinformation, schnell und verwirrend, kaum eine Chance
lassend für unabhängige Überprüfung. Und in den sogenannten sozialen
Medien sieht es keinen Deut besser aus. Je geringer das Wissen, um so
schriller das Agieren.
Gut möglich, das Russland irgendwann einen Täter präsentiert. Ob
damit aber der Mord wahrhaftig aufgeklärt ist, ist trotz der
ausgelobten Belohnung von umgerechnet 45 000 Euro nicht sicher. Auch
nicht, ob Ex-Geheimdienst-Offizier Putin etwas mit dem
mutmaßlichen Auftragsmord an seinem Kritiker Nemzow zu tun hat. Man
kann es glauben, man kann es aber auch sein lassen. Denn es hilft
nicht weiter.
Wofür man aber den Präsidenten verantwortlich machen muss, ist
das Klima in seinem Land, das einerseits von militärischem
Größenwahn und verdrucksten Komplexen und anderseits von Angst und
Bedrohung gekennzeichnet ist.
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