
Ausgangssituation und Bedeutung der Montage
Im deutschen Verarbeitenden Gewerbe sind über sieben Millionen Menschen beschäftigt. Zudem trägt auch seine hohe Exportquote von rund 45 % zur großen volkswirtschaftlichen Bedeutung dieses Wirtschaftsbereichs bei.
Die Unternehmen der großen Branchen des Verarbeitenden Gewerbes (z. B. elektrotechnische Industrie, Maschinenbau, Automobilindustrie) verfügen meist über große Montagebereiche. Durch den anhaltenden Trend zu komplexer werdenden Produkten mit steigender Variantenvielfalt und sinkenden Losgrößen erfolgt die Montage – trotz vergleichsweise hoher Personalkosten am Wirtschaftsstandort Deutschland – vielfach manuell oder teilautomatisiert. Ein Outsourcing oder eine Verlagerung der Montagefunktion ins Ausland kommt meist nicht in Frage, da sich die Montage am Ende der Wertschöpfungskette eines Betriebes befindet, eine vergleichsweise hohe logistische und organisatorische Komplexität aufweist und ein »Outsourcing« sich daher auch negativ auf die Liefertermintreue auswirken kann.
Aufgrund der vielen Beschäftigten in manuellen oder hybriden Montagebereichen und den sich daraus ergebenden wirtschaftlichen und arbeitswissenschaftlichen Fragestellungen kommt der anforderungsgerechten Montagesystemgestaltung sowohl aus Arbeitgeber- als auch aus Arbeitnehmersicht eine große Bedeutung zu. Der Prozess der Gestaltung eines neuen Montagesystems erfolgt hingegen in vielen Betrieben – insbesondere wenn die Funktion des Industrial Engineering nur unzureichend ausgeprägt ist – wenig methodengestützt, so dass das Risiko der Entwicklung von suboptimalen Gestaltungslösungen groß ist.
Anforderungen an das REFA-Standardprogramm
Das neu entwickelte REFA-Standardprogramm soll Beschäftigten, die Planungsfunktionen in der Produktion ausüben, eine Hilfestellung bei der Montagesystemgestaltung liefern und den nachfolgend aufgeführten Anforderungen Rechnung tragen.
Das REFA-Standardprogramm „Montagesystemgestaltung“ soll
sich am REFA-Standardprogramm Arbeitssystemgestaltung orientieren, das sich auf beliebige Arbeitssysteme bezieht; von einem sozio-technischen System ausgehen, so dass technische, organisatorische und personelle Aspekte berücksichtigt werden;
zu einer hohen Effektivität (Erreichen einer anforderungsgerechten Systemgestaltung) und einer hohen Effizienz (Zielerreichung bei möglichst geringem Ressourceneinsatz) führen; dazu beitragen, einen wirtschaftlichen Automationsgrad zu bestimmen;
Investitionsrechnungen beinhalten, um – unter Annahme der Richtigkeit der Planungsgrundlagen – die wirtschaftlichste Planvariante auswählen zu können.
Aufbau des REFA-Standardprogramms
Das REFA-Standardprogramm Montagesystemgestaltung umfasst – analog zum REFA-Standardprogramm Arbeitssystemgestaltung sechs Stufen. Jede Stufe besteht aus einer Mehrzahl von Schritten, denen zumeist Methoden, Checklisten und/oder Gestaltungsempfehlungen zugeordnet sind.
Stufe 1: Ausgangssituation analysieren und Projektrahmen klären
Die Stufe 1 des Standardprogramms hat eine erste Analyse der Ausgangssituation und die Klärung des Projektrahmens zum Gegenstand.
Nach Durchführung der Stufe 1 liegen ein geklärter Projektrahmen und eine erste Beschreibung der Projektaufgabe vor. Zudem haben sich die Projektverantwortlichen einen Überblick zur Ausgangssituation und zu wichtigen Rahmenbedingungen verschafft.
Stufe 2: Planungsdaten beschaffen und Ziele konkretisieren
Die Stufe 2 des REFA-Standardprogramms Montagesystemgestaltung beinhaltet die Beschaffung von detaillierten Planungsdaten, die Analyse und Bewertung von Montagesystemen mit vergleichbaren Anforderungen und das Konkretisieren der Ziele.
Abschließend sind in Schritt 3 der Stufe 2 des Standardprogramms die in Stufe 1 formulierten Ziele zu konkretisieren, so dass am Ende der Stufe 2 die Anforderungen an die Montagesystemgestaltung im Detail aufgelistet werden.
Stufe 3: Montagesystem konzipieren (Grobplanung)
In der betrieblichen Praxis sind vielfältige Gestaltungslösungen von Montagesystemen vorzufinden. Im Rahmen der Stufe der Grobkonzeptionierung des Montagesystems ist es für den Methodenanwender entscheidend, im Ergebnis zu einem anforderungsgerechten Montagekonzept zu gelangen, ohne sich bereits mit Detailfragen der Gestaltung auseinandersetzen zu müssen. Dazu werden insgesamt vier Schritte durchlaufen. Die ersten drei Schritte liefern weitere Planungsdaten, die eine Voraussetzung für die Bestimmung des Montagekonzeptes sind.
Im Ergebnis der dritten Stufe des REFA-Standardprogramms liegt ein Grobkonzept zum Montagesystem vor.
Stufe 4: Montagesystem detaillieren (Feinplanung)
Die Stufe 4 des REFA-Standardprogramms Montagesystemgestaltung beinhaltet die Detailplanung des Montagesystems. Als Ergebnis der Stufe liegt ein detailliertes Konzept für ein Montagesystem vor, welches einen Kostenvoranschlag, Leistungskennzahlen und Realisierungsunterlagen wie Zeichnungen enthält und den Beschaffungsbedarf auflistet.
Stufe 5: Montagesystem realisieren
Die Stufe 5 des REFA-Standardprogramms beinhaltet die Realisierung des Montagesystems und umfasst folgende Inhalte:
Betriebsmittel und Ausrüstung beschaffen bzw. bauen
Arbeitssysteme auf- bzw. umbauen
Personal qualifizieren
Entgelt- und Arbeitszeitlösung entwickeln und vereinbaren
Arbeitsunterlagen bereitstellen (Fertigungs- und Prüfanweisungen)
Probebetrieb durchführen
Erste Datenermittlungen durchführen (Prozess-, Leistungs-, Belastungsdaten, …)
Probleme erfassen, bewerten und beseitigen.
Am Ende der Stufe 5 liegt ein den Anforderungen entsprechendes Montagesystem vor, welches getestet und in Betrieb genommen wurde.
Stufe 6: Montagesystem einsetzen
Die Stufe 6 des REFA-Standardprogramms hat den Anlauf und Einsatz des Montagesystems zum Gegenstand. Folgende Inhalte sind dieser Stufe zugeordnet:
Übergabe an den Prozessverantwortlichen
Erfolgskontrolle durchführen
Kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP)
Projektdokumentation erstellen
Sicherung relevanter Daten und Teillösungen zur weiteren Nutzung.
Mit der Stufe 6 wird das Projekt zur Montagesystemgestaltung abgeschlossen, da nach erfolgreichem Systemanlauf die Verantwortung vom Projektleiter auf den Prozessverantwortlichen übertragen wird.
Fazit
Das in diesem Beitrag skizzierte REFA-Standardprogramm Montagesystemgestaltung unterstützt den gesamten Gestaltungsprozess. Im Rahmen der Grob- und Detailkonzeptionierung können allerdings vielfach nur qualitative Gestaltungshinweise gegeben werden. Zwar sind wichtige Einflussgrößen – beispielsweise in Bezug auf den Automationsgrad bekannt, allerdings fehlen vielfach empirische Grundlagen für mathematische Modelle oder Entscheidungsbäume, mit denen ausgehend von den Ausprägungen einzelner Einflussgrößen ein anforderungsgerechtes Montagekonzept ausgewählt und anschließend spezifiziert werden kann.
Modul im REFA-Techniker-Seminar „Gestaltung von Produktionssystemen mit REFA“
Das dargestellte REFA-Standardprogramm Montagesystemgestaltung ist Bestandteil des neuen REFA-Techniker-Seminars „Gestaltung von Produktionssystemen mit REFA“.
In dem zweitägigen Modul „Anforderungsgerechte Arbeitssystemgestaltung“ wird – aufbauend auf Grundlagen zur Arbeitssystemgestaltung – das REFA-Standardprogramm Montagesystemgestaltung vermittelt. Die Seminarteilnehmer lernen, wie sie ausgehend von einem Planungsauftrag ein anforderungsgerechtes Montagesystem entwickeln, realisieren und einsetzen. Dazu wenden sie in den unterschiedlichen Stufen des Standardprogramms entsprechende Methoden und Hilfsmittel an. Die Vermittlung der einzelnen Stufen des Standardprogramms wird über eine durchgängige Planungsaufgabe, die in Kleingruppen zu bearbeiten ist, unterstützt.
Die detaillierte Beschreibung dieses REFA-Standardprogramms finden Sie auf dem REFA Blog.
Das REFA-Seminar „Gestaltung von Produktionssystemen mit REFA“ können Sie auf der REFA Internetseite abrufen.