Rheinische Post: Beruf und Ethos

Warum nur berührt jeden von uns dieses
Berufe-Ranking? Der Grund liegt näher, als uns vielleicht lieb ist:
weil wir alle uns in unserer Arbeit verwirklichen und uns oft mit
dem, was wir Tag für Tag machen, identifizieren. Darum kratzt diese
Skala an unserem Selbstverständnis; sie geht – salopp formuliert –
ans Eingemachte. Jeder Tätigkeit wohnt ein Ethos inne, ihr Ansehen
ist der Gradmesser für Glaubwürdigkeit. Dass ausgerechnet der
Geistliche, der im unmittelbaren Sinne des Wortes Seelsorger sein
soll, an Vertrauen so rasant verloren hat, erschüttert. Aber es ist –
nach den vielen Fällen sexuellen Missbrauchs durch Priester –
verständlich. An das schlechte Ansehen von Politikern haben wir uns
gewöhnt (was freilich nicht weniger bedenklich ist). Auf der anderen
Seite: Ingenieure sind gefragter denn je – darum auch beliebter; und
die Verrichtungen der Ärzte sind gleichermaßen heilsam wie
alternativlos. Aber all die Werte sind gefühlte Werte; sie
entspringen dem Gemüt, weniger dem Verstand. Und doch wäre es fatal,
die Skala deshalb mit einer Handbewegung nonchalant abzutun. Das
Berufe-Ranking ist Ausdruck unseres Moralverständnisses. Das zu
ignorieren, wäre der Gipfel einer Arroganz, welche Distanz zu den
Menschen sucht, nicht Nähe.

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