Wir sollten uns nicht kirre machen lassen von
der chinesischen Propaganda und der gestrigen, reflexartigen
Verlautbarung, Mo Yan sei der erste chinesische
Literaturnobelpreisträger. Weil die damit verbundene Schmähung des
Dissidenten Gao Xingjian, der bereits vor zwölf Jahren
nobelpreiswürdig wurde, auch das Werk von Mo Yan beschädigen wird.
Denn das Lob des Regimes macht uns misstrauisch. Aber auch das ist
ein Reflex. Wie politisch Stockholm seine Wahl auch meinte, man
sollte die Lust am Taktieren unter den Literaturexperten eher
behutsam einschätzen. Was zu uns sprechen sollte, ist das Werk, die
poetische Kraft und sein Tor, durch das wir die Welt erstmals oder
neu erblicken. Dieses Werk folgt keiner Parteipropaganda; es ist dem
Humanismus geschuldet. Aber der Autor selbst? Nein, ein Kritiker ist
er nicht, kein Dissident. Aber er paktiert auch nicht mit den
Machthabern in Peking. Wie groß ist unsere moralische
Selbstgerechtigkeit, aus der sicheren Distanz einer Demokratie heraus
Autoren jetzt zu einem Engagement zu verpflichten, das furchtbare
Folgen haben kann? Mo Yan schweigt und schreibt. Damit hat er sein
wichtiges Werk gerettet, wichtig vielleicht auch zum Trost und zur
Hoffnung vieler bedrängter Menschen.
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