Rheinische Post: Die Kanzlerin muss sichändern

Ein Kommentar von Sven Gösmann:

Wenn sich an einem Tag der Ehrenbürger Europas und der
Bundespräsident kritisch zur Außen- und Finanzpolitik der
Bundesregierung äußern, dann ist das ein Alarmzeichen für Kanzlerin
Angela Merkel. Es handelt sich schließlich um achtbare Stimmen aus
ihrem eigenen Lager, wenn auch von unterschiedlichem politischen
Gewicht. Helmut Kohl, der Mann, der Angela Merkel als Politikerin
erfand und von ihr gestürzt wurde, sorgt sich um sein Lebenswerk, die
Vereinigten Staaten von Europa als verlässlicher transatlantischer
Partner der Vereinigten Staaten von Amerika. „Die macht mir mein
Europa kaputt“, grollte der Alte aus Oggersheim schon vor Wochen über
die Politik seiner Nach-Nachfolgerin. Jetzt wirft er ihr eklatante
Fehler beim Aufbau der Eurozone und die Verletzung des
partnerschaftlichen Geistes mit den USA in der Libyen-Frage vor. Das
ist starker Tobak, den die CDU-Chefin nicht mit ein paar
Regionalkonferenzen wegpusten kann. Es braucht also viel mehr von
dem, womit Merkel bei der Sondersitzung ihrer Fraktion zur Eurokrise
begonnen hat: der Erklärung ihrer Absichten und der
Überzeugungsarbeit. Bei Gelegenheit sollte sie auch in Schloss
Bellevue vorbeischauen und Christian Wulff ihre Positionen
verdeutlichen. Es gibt jedenfalls nach innen wie außen ein
verheerendes Bild ab, wenn das Staatsoberhaupt den von der Kanzlerin
als alternativlos dargestellten Ankauf von Staatsanleihen durch die
Europäische Zentralbank für rechtlich bedenklich erklärt. Wem soll
der Bundesbürger da glauben, vom Unions-Wähler ganz zu schweigen?
Merkel ist im Laufe ihrer Amtszeit zu der nicht wegzuwischenden
Erkenntnis gekommen, dass die globale Krise internationale Antworten
verlangt. Diese müssen in der Regel kurzfristiger gegeben werden, als
es die Struktur der Eurozone mit ihren 17 Mitgliedern, erst recht die
der Europäischen Union mit 27 Mitgliedsstaaten ermöglicht. Es braucht
demokratisch legitimierte, abgestufte, schnelle Verfahren, die nur
durch neue Gremien mit hoher Entscheidungsbefugnis zu schaffen sind.
Derzeit geschieht das in halbdemokratischen Verfahren, in denen sich
die entscheidenden europäischen Regierungschefs, darunter Merkel,
abstimmen und sich hinterher von ihren nationalen Parlamenten die
Zustimmung einholen. Merkel, die im kleinen Kreis durchaus in der
Lage ist, ihre Politik strukturiert und, ja, leidenschaftlich zu
vertreten, muss endlich ihre Kommunikation umstellen. Ihr Schweigen,
ihr Abwerten innerparteilicher Kritik von Hinterbänklern wirkt
ansonsten wie die Arroganz einer in höhere außenpolitische Sphären
entfleuchten Regierungschefin. Merkel aber war angetreten, genau
diesen Fehler ihrer Vorgänger zu vermeiden. Sie muss ihr Handeln auch
verändern, um den Verdacht zu entkräften, ihre Kommunikation tauge
nichts, weil sie gar keine Strategie zu kommunizieren habe.

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