Rheinische Post: Die Republik benötigt Stil

Ein Kommentar von Reinhold Michels:

Ein Staatsoberhaupt muss kein Heiliger von heroischem Tugendgrad
im Sinne des Kirchenrechts sein. Aber so trist und gewöhnlich wünscht
man sich die Bürgerdemokratie auch nicht: dass der erste Bürger des
Staates als jemand ertappt wird, der nach dem kleinen Vorteil greift
wie der Schnäppchenfreund auf dem Markt der Möglichkeiten. Demokratie
braucht Führung, und die Republik benötigt Stil sowie
Spitzen-Republikaner mit Gespür dafür. Schon Wulffs Vorgänger
mangelte es daran, man bedenke seinen lachhaften Hopplahopp-Abgang im
Mai 2010. An der dummen Kreditgeschichte – Affäre möchte man es nicht
nennen – stört neben dem Stillosen und Gschaftlhuberischen das
Halbherzige, mit dem die Öffentlichkeit aus Schloss Bellevue
informiert wird. Anzuerkennen ist, dass der Bundespräsident sich für
fehlende Geradlinigkeit entschuldigt hat. Da schien Wulffs
altbekannte Redlichkeit auf. Schwerer zu ertragen war anschließend
der salbungsvolle Ton seiner Weihnachtsansprache. Wer mit einem Bein
in der Tinte steckt, dem stehen allein Selbstironie, vielleicht
Heiterkeit oder wenigstens Größe und eine gewisse Eleganz im Pech.
Wulff fehlt das. Es ist ein Jammer, dass die Zeiten von
Bundespräsidenten nach Art des barocken Herzog, des feinen von
Weizsäcker, des eckigen Heinemann perdu sind.

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